Tag & Nacht

Die Angehörigen von Isabelle Mesnage, die 1986 in Nordfrankreich ermordet wurde, mussten bis Juni 2022 warten, bis ihr Mörder, Jacques Rançon, vor Gericht gestellt wurde. Um ungeklärte Kriminalfälle schneller zu lösen, wurde in Frankreich gerade eine neue Art von Ermittlungen eingeführt.

Patrice Allègre, Nordahl Lelandais oder Pascal Jardin: Die nationale Abteilung für Cold Cases mit Sitz in Nanterre hat seit ihrer Gründung vor einem Jahr neun Fälle aufgenommen. Die neun Täter waren bereits wegen Serienverbrechen rechtskräftig verurteilt. Es besteht jedoch der Verdacht, dass sie weitere Verbrechen begangen haben könnten. Die französische Justiz will nun nicht identifizierten Opfer eines Kriminellen in einem neuen Verfahrensrahmen Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Der neue Verfahrensrahmen ermöglicht es jetzt einem Richter, nicht wie bisher nur eine bestimmte Tat, sondern den gesamten Lebenslauf eines Beschuldigten zu untersuchen und dabei nach Übereinstimmungen mit ungeklärten Fällen zu suchen.

Früher bereiteten solche Untersuchungen Polizisten und Gendarmen unüberwindbare Zeitprobleme – diese Art von Ermittlungen erfordert sehr lange und gründliche Untersuchungen – oder sie stiessen auf Hindernisse, die mit den territorialen Zuständigkeiten der Gerichte zusammenhingen. Aufgrund dessen sind der französischen Justiz andere Opfer bekannter Serientäter wie Alègre, Lelandais und Rançon sehr lange entgangen. Anwälte und Familien von möglichen Opfern hofften seit langem auf die Einführung dieser Art von Untersuchungen.

Mit der neuen Art der kriminellen Untersuchung hätte man schon weitaus früher erkennen können, dass zum Beispiel Jacques Rançon, der Mörder des Bahnhofs von Perpignan, sich in der Region Amiens aufhielt, als es in dieser Gegend zu vermehrten Vermisstenfällen kam, sagt Rechtsanwältin Corinne Hermann. „Man hätte die Ermittlungen früher zusammenbringen können“, sagt sie, und er hätte wahrscheinlich nicht erst nach 34 Jahren verurteilt werden können.

Die Ermittler, die mit den neun Serientätern betraut sind, werden zunächst alle verfügbaren Akten zusammenbringen und dann überall, wo sie können, nachforschen, um das Leben des jeweiligen Täters bis ins kleinste Detail nachzuvollziehen. Die Orte, an denen einer der Täter wohnte, seine Arbeit und seine Reisen werden untersucht, Angehörige befragt, Fotos aus der Zeit oder offizielle Dokumente beschafft. Das kann sogar bis zu Schulzeugnissen gehen, um zu Lehrern und Mitschülern Kontakt zu bekommen.

Der Lebensweg der Serientäter wird dann mit ungeklärten Fällen verglichen, um zu sehen, ob eine verschwundene oder tot aufgefundene Person ihren Weg gekreuzt hat.
Die Ermittler haben das Ziel, ein genaues „kriminalistisches Gedächtnis“ aufzubauen und die kriminalistische Archivierung mit der Schaffung einer neuen gemeinsamen nationalen Datenbank mit allen ungeklärten Verbrechen, aber auch mit vermissten Personen oder verdächtigen Selbstmorden einzurichten. Bisher sind viel zu oft Verfahrensakten aufgrund der gesetzlichen Regelungen zur Aufbewahrungsdauer vernichtet worden. Das Rechtssystem hatte damals nicht vorausgesehen, dass 20 Jahre später Fälle neu bearbeitet und aufgeklärt werden können.

Zum jetzigen Zeitpunkt sind neun Männer, die bereits wegen Vergewaltigung oder Mord verurteilt wurden, Ziel von Ermittlungen, die als „krimineller Werdegang“ bezeichnet werden. Polizisten und Gendarmen werden ihre Lebensläufe nachverfolgen und nach weiteren Opfern suchen.

Hier die bekanntesten 7 Namen:

  1. Nordahl Lelandais

Der ehemalige Soldat wurde bereits zu lebenslanger Haft für den Mord an der kleinen Maëlys de Araujo im Jahr 2017 und zu 20 Jahren für den Mord an dem Unteroffizier Arthur Noyer verurteilt.
bereits vor Beginn der neuen Untersuchungen waren 40 Fälle, konzentriert in der Region Auvergne-Rhône-Alpes, von den Ermittlern ins Visier genommen worden. Darunter auch das Verschwinden von zwei Männer, die im Abstand von einem Jahr nach dem Besuch desselben Musikfestivals im Fort de Tamié verschwanden. Keiner der 40 Fälle konnte ihm bisher eindeutig zugeordnet werden.

2. Patrice Alègre

Der 54-jährige Patrice Alègre wurde 2022 wegen der Vergewaltigung von sechs Frauen und dem Mord an fünf von ihnen zu lebenslanger Haft mit einer Sicherheitsverwahrung von 22 Jahren verurteilt. Diese Verbrechen wurden zwischen 1989 und 1997 begangen. In fünf Fällen von Mord und Totschlag sowie in einem Fall von Vergewaltigung, der zwischen 1987 und 1992 begangen worden war, wurde das Verfahren gegen den Serienmörder eingestellt. Die Ermittler, die seinen Lebenslauf erneut untersuchen sollen, werden sich auf den Zeitraum 1990-1997 konzentrieren, d. h. sieben Jahre ohne ein einziges Verbrechen, was angesichts seines Profils Fragen aufwirft.

3. Patrick Trémeau

Der 59-jährige Mann, der den Spitznamen „Vergewaltiger der Parkhäuser“ trägt, wurde wegen 17 Vergewaltigungen oder Vergewaltigungsversuchen verurteilt, die er hauptsächlich im elften und zwanzigsten Arrondissement von Paris und in der Pariser Region in den 1980er bis 2000er Jahren begangen hatte. Er agierte hauptsächlich nachts und überfiel seine Opfer in Tiefgaragen. Sein krimineller Werdegang wurde von mehreren Verhaftungen und Inhaftierungen unterbrochen.

4. Jacques Rançon

Jacques Rançon, der auch als „Mörder des Bahnhofs von Perpignan“ bezeichnet wird, ist einer der wenigen Kriminellen, die zweimal zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. Im Jahr 2018 für die Vergewaltigung und Ermordung von zwei Frauen in Perpignan in den Jahren 1997 und 1998. Dann 2022 im Berufungsverfahren für die Vergewaltigung und Ermordung von Isabelle Mesnage im Jahr 1986. Nach einer Einstellung des Verfahrens im Jahr 1992 wurden die Ermittlungen dann im Jahr 2017 wieder aufgenommen, als die Anwältin der Familie Mesnage, Jacques Rançon mit dem Tod der jungen Frau in Verbindung brachte. Der ehemalige Gabelstaplerfahrer sprach selbst von einem Opfer, dem er „die Füße abgeschnitten“ habe, was bei keinem der Fälle, für die er verurteilt wurde, zutraf.

5. Pascal Jardin

Der etwa 60-jährige Mann wurde 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er 1996 in der Region Saône-et-Loire eine der „Vermissten der A6“, Christelle Blétry im Alter von 20 Jahren, vergewaltigt und mit 123 Messerstichen getötet hatte. Der Fall hatte eine Untersuchung mehrerer ähnlicher Fälle ausgelöst, die unter dem Namen „Verschwundene von Saône-et-Loire“ bekannt sind. Da er bereits 2004 wegen versuchter sexueller Nötigung verurteilt worden war, ist nicht auszuschließen, dass er noch weitere Taten begangen haben könnte, insbesondere in der Region Landes, wo er vor seiner Festnahme ein neues Leben begonnen hatte.

6. Der belgische Wiederholungstäter Willy Van Coppernolle

Dieser belgische Intensivtäter, der heute 79 Jahre alt ist, wurde in Belgien wiederholt verurteilt, unter anderem wegen sexueller Übergriffe. In Frankreich wurde er 1995 zu lebenslanger Haft mit einer Sicherheitsverwahrung von 22 Jahren verurteilt, weil er im März 1993 den 11-jährigen Abdel im Departement Gard ermordet und vergewaltigt und wenige Tage später zwei weitere Jugendliche in derselben Region vergewaltigt hatte.

7. Pascal Lafolie

Der 56-jährige Mann wurde 2021 durch DNA-Übereinstimmung eines 27 Jahre zuvor begangenen Mordes überführt: des Mordes an der 17-jährigen Schülerin Nadège Desnoix, die 1994 in Château-Thierry (Aisne) getötet worden war. Er wurde in Ille-et-Vilaine, wo er lebte, festgenommen, gab den Mord zu und wurde angeklagt. Er war bereits 1997 und 2002 wegen Vergewaltigung und sexueller Übergriffe verurteilt worden.


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