Tag & Nacht

Unter den französischen Landwirten wächst die Wut. Durch Überalterung und immer schwierigeren wirtschaftlichen Aussichten ist der gesamte Sektor in Gefahr.

Mit einem Durchschnittsalter von 51,4 Jahren altert die Bauernschaft Frankreichs deutlich.
Laut der im Jahr 2020 durchgeführten Volkszählung waren die französischen Landwirte im Jahr 2020 durchschnittlich 51,4 Jahre alt. Insgesamt werden bis 2026 fast 200.000 von ihnen in den Ruhestand gehen.

Gleichzeitig können es sich junge Menschen nicht mehr leisten, in landwirtschaftliches Eigentum zu investieren: „Die Rückzahlungen, die ein Junglandwirt in den ersten Jahren leisten muss, werden im Vergleich zur Rentabilität seines Betriebs zu hoch“, sagt Alessandra Kirsch, Doktorin der Agrarökonomie gegenüber dem Sender France 24. Junge Menschen, die in die Landwirtschaft einsteigen wollen, müssen Hunderttausende oder sogar Millionen Euro investieren, um einen Beruf auszuüben, der als schwierig gilt und eine hohe Anzahl an Arbeitsstunden, Bereitschaftsdienste, wenig Urlaub und ein schwankendes Einkommen mit sich bringt. „Man muss Perspektiven für eine Arbeit unter besseren Bedingungen bieten“, meint Yohann Barbe, Rinderzüchter in den Vogesen und Vorstandsmitglied des französischen Bauernverbands FNSEA (Fédération nationale des syndicats d’exploitants agricoles). „Wir haben das Glück, im Kontakt mit der Natur zu arbeiten, aber das muss sich auch finanziell auszahlen.“

100.000 landwirtschaftliche Betriebe weniger in 10 Jahren.
Frankreich hat zwischen 2010 und 2020 fast 21 % seiner landwirtschaftlichen Betriebe verloren. Die Wirtschaftswissenschaftlerin und Ingenieurin Alessandra Kirsch sieht zwei Faktoren, die dieses Phänomen erklären: „Es gibt große Schwierigkeit, einen Hof zu übergeben, was einerseits mit dem Preis, den die Betriebe wert sind, und andererseits mit dem Mangel an Übernahmekandidaten zusammenhängt. Hinzu kommt, dass der Wert der landwirtschaftlichen Produktion im Laufe der Zeit abnimmt: Um gleichbleibendes Einkommen zu produzieren, braucht man zunehmend mehr Kapital und mehr Arbeit. Das Ergebnis sind größere Bauernhöfe, die mehr Mitarbeiter beschäftigen, ohne mehr zu verdienen“. Dies erklärt zum Teil, warum die landwirtschaftliche Nutzfläche (LNF) zwischen 2010 und 2020 nahezu unverändert blieb und landesweit nur um knapp 1 % zurückging, obwohl die Anzahl der Betriebe stark abnahm.

43 % höheres Selbstmordrisiko im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung.
Laut der Versicherungsgesellschaft Mutuelle sociale agricole (MSA) haben die Versicherten in der Landwirtschaft ein deutlich höheres Risiko, durch Selbstmord zu sterben, als die Allgemeinbevölkerung. Im Jahr 2020 war das Suizidrisiko bei den MSA-Versicherten im Alter von 15 bis 64 Jahren um 43,2 % höher als bei den Versicherten aller anderen französischen Sozialversicherungssysteme.

17,4 % der landwirtschaftlichen Haushalte leben unter der Armutsgrenze
In Frankreich ist der Anteil der landwirtschaftlichen Haushalte, die unter der Armutsgrenze leben, laut dem Statistikamt Insee höher als bei Arbeitern (13,9 %) und Angestellten (12,1 %) und fast doppelt so hoch wie bei der Gesamtbevölkerung (9,2 %). Für Experten ist dies auf eine hohe Volatilität des landwirtschaftlichen Einkommens zurückzuführen: Die Marktpreise können sich innerhalb weniger Wochen ändern und eine Klimakatastrophe kann eine Ernte innerhalb weniger Stunden zunichte machen. In anderen Berufen können Arbeitnehmer ihr Gehalt aushandeln, einen Verkaufspreis festlegen und Einkommens-Prognosen erstellen. In der Landwirtschaft wissen die Bauern erst, wie hoch Ihr Einkommen sein wird, wenn sie geerntet und verkauft haben, und sie legen ihre Preise auch nicht selbst fest.

Mit 214 Euro pro Tonne Weizen befinden sich die Getreidepreise derzeit im freien Fall.
Das Beispiel Getreide spricht in dieser Hinsicht für sich. Mit 214 Euro pro Tonne erreichte der Weizenpreis im Dezember 2023 laut der europäischen Börse Euronext den niedrigsten Stand seit September 2021. Zum Vergleich: Im Mai 2022 war der Preis noch doppelt so hoch.

Der Rückgang der Weizenpreise ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Einerseits kann es sich Russland, das über große Lagerbestände verfügt, leisten, Weizen zu einem ultra-kompetitiven Preis zu verkaufen.

Gleichzeitig war die Saison für die französischen Landwirte sehr schlecht: „Die Aussaatbedingungen waren sehr schlecht, es war schwierig, mit Traktoren in die damals zum Teil überschwemmten Felder zu fahren, um den Boden vorzubereiten und den richtigen Zeitpunkt zum Säen zu bestimmen“, erklärt Alessandra Kirsch. „Wir erwarten also eine schwache Ernte in Kombination mit Preisen, die unter den Produktionskosten liegen.“


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