Tag & Nacht

Frankreich begann, Gas über eine Verbindungsleitung im Département Moselle direkt nach Deutschland zu liefern. Berlin versprach seinerseits, Paris mit Strom zu versorgen, da Frankreich durch eine niedrige Atomstromproduktion geschwächt ist.

Es ist ein Symbol für die „europäische Solidarität“ zur Überwindung der Energiekrise. Am Donnerstag, dem 13. Oktober, begann Frankreich zum ersten Mal mit direkten Gaslieferungen nach Deutschland. Diese Lieferungen erfolgen im Rahmen eines Abkommens über gegenseitige Hilfe, das Anfang September zwischen Emmanuel Macron und dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz formalisiert wurde. Deutschland leidet unter dem Rückgang der russischen Gasexporte nach Europa.

Berlin verpflichtete sich seinerseits, mehr Strom an Frankreich zu liefern, das unter den Auswirkungen der Abschaltungen von Atomkraftwerken leidet. Ein üblicher Energieaustausch innerhalb Europas, der in diesem Jahr aufgrund der starken Versorgungsspannungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine verstärkt stattfindet.
Die europäischen Länder tauschen Gas und Strom über Interkonnektoren aus, das sind Übertragungsleitungen, die die Netze verbinden und die Grundlage für Energiehandelsgeschäfte bilden, wie die französische Energie-Regulierungskommission (CRE) mitteilt. Im Stromnetz beispielsweise gibt es über 400 Verbindungsleitungen, die die europäischen Staaten miteinander verbinden. Sie sind wichtig, um die Sicherheit der Energieversorgung, im Falle einer geopolitischen Krise oder wenn ein Land mit einem technischen Zwischenfall in seiner nationalen Produktion konfrontiert ist, zu gewährleisten.

Dank der Verbindungsleitungen können die Staaten ständig Energie auf dem europäischen Markt entsprechend ihrem jeweiligen Bedarf austauschen. Dies gilt insbesondere für Strom. Im Laufe eines Jahres verbraucht Spanien z. B. im Sommer mehr Strom als im Winter. Bei Frankreich ist es umgekehrt es exportiert im Sommer Strom an seinen spanischen Nachbarn, wodurch sich der französische Atompark auch dann rentiert, wenn der nationale Verbrauch gering ist. Dieses „Win-Win“-System ist daher für französische Energieversorger wie die EDF von Vorteil, da sie einen Teil ihrer Produktion ins Ausland verkaufen können.

Im Gegenzug kann Frankreich auf die Produktion seiner Nachbarn zählen, um seinen Bedarf in den kälteren Monaten zu ergänzen. Dieser ermöglicht es auch, auf Schwankungen des Energieverbrauchs innerhalb eines Tages zu reagieren. Ohne dieses Verbundsystem gäbe es ständig Schwankungen im Netz.

Frankreich hat etwa 50 grenzüberschreitende Verbindungen, über die es Strom mit Großbritannien, der Schweiz, Italien, Spanien, Deutschland und den Benelux-Staaten (Belgien, Niederlande, Luxemburg) austauschen kann. Bis zum letzten Jahr war Frankreich der größte europäische Nettoexporteur von Strom.

Im Jahr 2021 lieferte das Land mehr Strom an seine Nachbarn (87,1 Terawattstunden) als es importierte (44 TWh), wie aus der Bilanz des französischen Stromnetzbetreibers (RTE) hervorgeht. Die meisten Exporte gingen in die Schweiz (21,7 TWh), nach Großbritannien (19,7 TWh) und nach Italien (18,8 TWh). Im Gegensatz dazu erhielt Frankreich den meisten Strom aus Deutschland und den Benelux-Staaten (22,2 TWh) sowie aus Spanien (8,7 TWh).

Beim Gas ist die Situation völlig anders, da Frankreich fast das gesamte auf seinem Gebiet verbrauchte Gas importiert. Im Jahr 2020 stammte etwa ein Drittel der Importe aus Norwegen, die über eine Verbindungsleitung in Dünkirchen (Nord) ankamen, wie aus Daten des Ministeriums für den ökologischen Übergang hervorgeht. Über solche Verbindungsleitungen kann auch Gas aus nichteuropäischen Ländern bezogen werden, insbesondere aus Russland (17% der Importe vor Beginn des Krieges) oder Algerien (8% der französischen Importe). Die Gasverbindung mit Spanien ist eine Route, über die auch algerisches Gas nach Frankreich gelangen kann.

Es ist das erste Mal, dass Frankreich Gas direkt nach Deutschland liefert. „Bisher haben wir Gas über Belgien an unseren Nachbarn geschickt“, sagt Thierry Trouvé, Generaldirektor von GRTgaz, dem Betreiber des französischen Gastransportnetzes, am Donnerstag. Es waren Arbeiten erforderlich, um die Verkehrsrichtung des Verbindungspunktes an der deutsch-französischen Grenze in Obergailbach (Moselle) umzukehren, der eigentlich für den Betrieb von Deutschland nach Frankreich ausgelegt war.

Diese Lieferungen sollen Deutschland, das bislang stark von russischem Gas abhängig war, helfen, die von Moskau im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine beschlossene Verringerung der Lieferungen zu bewältigen. Frankreich verfügt derzeit über mehr Gas als Deutschland, da es von massiven Lieferungen aus Norwegen und von verflüssigtem Erdgas (LNG), insbesondere aus den USA, profitiert. Diese Lieferungen haben es Frankreich auch ermöglicht, seine Vorräte für den Winter bereits vollständig aufzufüllen.

Die Gasmenge, die über die Verbindungsleitung an Deutschland geliefert wird, kann bis zu 100 Gigawattstunden pro Tag betragen. In der Größenordnung entspricht dies der Leistung von vier Kernkraftwerksblöcken oder dem Äquivalent von 10% dessen, was Frankreich täglich an LNG an seinen vier LNG-Terminals erhält, so GRTGaz. Man geht davon aus, Deutschland den ganzen Winter über ausreichend mit Gas bedienen zu können.

Berlin hat sich seinerseits verpflichtet, Frankreich mit Strom zu versorgen, da das Land durch eine stark verringerte Atomstromproduktion geschwächt ist. Derzeit sind von den 56 französischen Reaktoren immer noch etwa 30 aufgrund von Wartungsarbeiten, Kontrollen oder Korrosionsproblemen abgeschaltet.

„Frankreich hat sich vom Nettoexporteur von Strom zum Nettoimporteur von Strom gewandelt.“ (Thomas Pellerin-Carlin, Energieexperte gegenüber Franceinfo).

Die deutschen Lieferungen sollen also das französische Stromnetz zu Zeiten des Spitzenverbrauchs stärken, um Ausfälle zu verhindern.

Mit dieser politischen Einigung zwischen Berlin und Paris „werden wir in den kommenden Wochen und Monaten zur europäischen Solidarität im Gasbereich beitragen und von der europäischen Solidarität im Strombereich profitieren“, sagte Emmanuel Macron Anfang September nach seinem Treffen mit Olaf Scholz.

Dieser „Geist der Solidarität“ ist bereits im Vertrag von Lissabon aus dem Jahr 2007 enthalten. Er zielt insbesondere darauf ab, die Zusammenarbeit auf dem europäischen Markt im Falle von Versorgungsengpässen bei Gas oder Strom aufrechtzuerhalten. Denn in Krisensituationen kann es politische Versuchungen geben, zu nationalen Kontrollen und Exportverboten zurückzukehren.

Es war auch diese Energiesolidarität, die die 27 EU-Mitgliedsstaaten im Sommer dazu veranlasste, sich auf eine „freiwillige“ Senkung des Erdgasverbrauchs um 15% bis März 2023 zu einigen. Die Vereinbarung sieht ausserdem vor, dass dieses Ziel verbindlich werden kann, wenn „ein substanzielles Risiko einer ernsthaften Gasknappheit“ oder „eine außergewöhnlich hohe Nachfrage“ vorliegt.

Und diese Solidarität im Energiebereich ist für derart voneinander abhängige und vernetzte Länder unerlässlich. Sollte die deutsche Industrie jemals wegen Gasmangels zusammenbrechen, wäre das erste Opfer natürlich Deutschland und das zweite Opfer Frankreich. Deutschland  ist gleichzeitig der beste Kunde und auch der beste Lieferant der französischen Industrie.

Wenn jeder nur nach seinen nationalen Interessen schaut, werden am Ende alle die Verlierer sein.


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