Der Fall eines Polizisten, der im März 2022 einen Autofahrer in Aulnay-sous-Bois erschoss, hat eine neue Wendung genommen. Der Staatsanwalt von Bobigny hat jetzt einen Prozess wegen Totschlags gegen den Beamten gefordert. Die Ermittlungen ergaben, dass der Schuss „weder notwendig noch verhältnismäßig“ war.
Der Vorfall
Am Samstag, dem 26. März 2022, kam es zu einem dramatischen Zwischenfall, als Jean-Paul Benjamin, ein Unternehmer in der Transportbranche, einen mit Paketen beladenen Lieferwagen von einem Amazon-Fahrern entwendete. Benjamin, der sich in einem Streit mit einem Amazon-Zwischenhändler wegen unbezahlter Rechnungen befand, entwendete den Wagen kurz nach Mittag. Der Lieferwagen wurde der Polizei als gestohlen gemeldet, eine Einheit der Anti-Kriminalitäts-Brigade (BAC) in Aulnay-sous-Bois entdeckte das Fahrzeug an einer Ampel.
Ein Polizist, ohne Uniform und ohne erkennbaren Polizeiausweis, näherte sich dem Lieferwagen. Innerhalb von drei Sekunden befand er sich auf Höhe der Fahrertür und als das Fahrzeug wieder anfuhr schoss er auf den Fahrer. Jean-Paul Benjamin wurde an der Schulter getroffen, verlor die Kontrolle über das Fahrzeug und kam kurz darauf zum Stehen. Der Schuss hatte mehrere lebenswichtige Organe zerstört und eine tödliche innere Blutung verursacht.
Kritik am polizeilichen Vorgehen
Die Staatsanwaltschaft von Bobigny betonte, dass „keine unmittelbare Bedrohung für die Sicherheit des Polizisten oder der anderen Verkehrsteilnehmer und Fußgänger bestand“. Es wurde auch kritisiert, dass der Polizist allein und ohne auf seine Kollegen zu warten handelte.
Reaktionen und rechtliche Konsequenzen
Der Anwalt des Polizisten, Thibault de Montbrial, äußerte sich nicht zu den Vorwürfen. Hingegen erklärte Arié Alimi, Anwalt der Witwe und der Kinder von Jean-Paul Benjamin, dass „tödliche Schüsse auf Fahrer durch Polizisten, selbst bei Nichtbefolgung von Anweisungen, als Verbrechen betrachtet werden und mit mindestens 20 Jahren Haft bestraft werden“. Die Familie begrüßte die Entscheidung der Staatsanwaltschaft und hoffte, dass dies ein Präzedenzfall im Umgang mit Polizeigewalt in Frankreich wird.
Hintergrund und gesellschaftliche Auswirkungen
Im Jahr 2022 nahm die Zahl tödlicher Schüsse bei Polizeikontrollen in der Region Paris deutlich zu. Der Tod von Jean-Paul Benjamin, einem angesehenen Familienvater im Viertel Beaudottes, führte zu mehreren Nächten von Unruhen. Der Fall löste eine öffentliche Debatte über die Anwendung von Gewalt durch die Polizei aus und führte zu einer breiten Diskussion über notwendige Reformen.
Die Anklage gegen den Polizisten könnte ein bedeutender Schritt sein, um die rechtliche Verantwortung und die Grenzen der Polizeigewalt zu klären. Der Prozess wird von vielen als Testfall gesehen, der weitreichende Auswirkungen auf die Rechtsprechung in ähnlichen Fällen haben könnte.
Der Staatsanwalt von Bobigny, Eric Mathais, kündigte die Anklage in einer Pressekonferenz an und betonte die Bedeutung einer gründlichen und transparenten Untersuchung. Die Öffentlichkeit wartet nun gespannt auf den Ausgang des Prozesses und die möglichen Implikationen für die Polizeiarbeit in Frankreich.
Dieser Fall ist mehr als nur eine juristische Auseinandersetzung. Er ist ein Symbol für die komplexen Herausforderungen im Verhältnis zwischen Polizei und Bürgern. Die Forderung nach einem Prozess zeigt den Wunsch nach Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit, und er könnte den Weg für zukünftige Reformen ebnen. Die kommenden Monate werden entscheidend sein, um zu sehen, ob diese Forderungen tatsächlich zu einer Veränderung führen – und ob Frankreich als Ganzes daraus lernen kann.
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