Tag & Nacht

Die Zahl der obdachlosen Kinder in Frankreich ist seit Januar 2022 gestiegen, warnt Unicef. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen schätzt, dass zu Beginn des neuen Schuljahres mehr als 1.600 Minderjährige auf der Straße leben. 

Am Vorabend des Schulanfangs auf der Straße schlafen müssen – Adeline Hazan, Präsidentin von Unicef Frankreich, und Pascal Brice, Leiter der Fédération des acteurs de la solidarité (FAS), sind sich einig, dass diese Realität in Frankreich „inakzeptabel und unwürdig“ ist.

Etwa 1.658 Kinder ohne Unterkunft waren in der Woche vor Schulbeginn gezwungen, im Freien oder in Notunterkünften zu schlafen, warnen die UN-Kinderrechtsorganisation und die FAS an diesem für Schulkinder so besonderem Tag. „Einige von ihnen, es ist unmöglich, ihre Zahl zu schätzen, werden heute nicht die Chance haben, den Weg zur Schule zu finden“, empörte sich Unicef.

Die FAS-Studie, die in der Nacht zum 22. August durchgeführt wurde, basiert auf der Anzahl von Familien mit Kindern, die die Notrufnummer 115 angerufen haben und trotz der Dringlichkeit ihrer Situation nicht untergebracht werden konnten, weil „keine Plätze verfügbar oder mit der Zusammensetzung des Haushalts vereinbar sind“. Paris ist nach wie vor das Departement mit den meisten unversorgten Unterkunftsanfragen, gefolgt von den Departements Nord, Seine-Saint-Denis und Bas-Rhin.

Fehlfunktion der französischen Notrufnummer für Unterkünfte
Unter diesen 1.658 Familien auf der Straße befanden sich laut der Erhebung 368 Kinder unter drei Jahren. Die Autoren der Studie warnen davor, dass diese Zahlen hinter der Realität zurückbleiben, da sie nur die Personen berücksichtigen, die die Notrufnummer erreichen konnten.

In vielen Fällen laufen die Anrufe bei der Nummer 115 jedoch „ins Leere“, wie Océane Marache von der Organisation Utopia 56 berichtet: „Jeden tag versuchen die Leute, die 115 zu erreichen, mehrere Stunden am Stück… Gestern hat mir eine Familie ihre Anrufliste gezeigt, sie haben drei Stunden damit verbracht. Nach 50 Minuten Wartezeit, ohne dass ein Telefonist am anderen Ende der Leitung ist, legt das Gerät von selbst auf“.

Die Organisation Utopia 56, die Bürgerunterkünfte organisiert, hat festgestellt, dass die Zahl der Kinder, die auf der Straße leben, im letzten Jahr gestiegen ist. „Allein gestern Abend meldeten sich rund 50 Familien mit 44 Kindern, darunter 13 Babys unter einem Jahr, in unserer täglichen Sprechstunde auf dem Pariser Rathausplatz“, berichtet Océane Marache. „Darunter waren auch einige, die heute in die Schule gingen, und sie waren gestresst, weil sie dort sagen mussten, dass sie kein Zuhause haben.“

Jedes Kind, das auf der Straße lebt, kann legal eingeschult werden, indem es bei einem Sozialarbeiter oder einem Verein eine Domizilierung beantragt und sich bei der Schulbehörde des zuständigen Rathauses anmeldet. „Theoretisch ist das möglich, ja …“, kommentiert Océane Marache. „Aber in der Praxis: Wie sollen diese Kinder lernen, wenn sie nicht richtig schlafen oder sich waschen können? Es ist nicht ungewöhnlich, dass sie ihre Hausaufgaben auf einer Bank neben unserem Bereitschaftsdienst machen.“

Utopia 56 verfolgt insbesondere Fälle von alleinstehenden ausländischen Minderjährigen. In Paris warten 200 von ihnen auf die Anerkennung durch den französischen Staat. Ein Verfahren, das zwischen drei und achtzehn Monaten dauern kann. „In der Zwischenzeit werden sie nicht von der Kinderfürsorge untergebracht und können nicht zur Schule gehen“, erklärt Luc Viger von Utopia 56. Die Organisation versucht minderjährigen Migranten wenigstens Französischkurse zu vermitteln.

Die Zahl der Kinder auf der Straße steigt.

„Frankreich hat sich durch die Ratifizierung der Internationalen Kinderrechtskonvention verpflichtet, die Grundrechte der Kinder zu gewährleisten, insbesondere ihr Recht auf Entwicklung, Schutz, Gesundheit und Bildung“, betont Unicef Frankreich und fordert die Regierung auf, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.

„Wir können nicht länger die Augen verschließen“, alarmieren Hilfsorganisation und fordern den französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf, sein Versprechen einzuhalten, „allen Obdachlosen ein Dach über dem Kopf zu geben“.

In diesem Herbst schnellen die Zahlen der Wohnungslosigkeit für Kinder in die Höhe und die Zahl der Familien ohne Unterkunft ist laut der Unicef/FAS-Umfragen im Vergleich zum Januar um 77% gestiegen ist.

Der Grund dafür ist laut Utopia 56 eine Kündigungswelle zu Ende März 2022 und die Rückkehr der Touristen nach Paris. „Der Tourismus hat sich erholt und viele Hotels haben die Sozialhilfe eingestellt, da sie ihre Zimmer wieder an ausländische Touristen vermieten können. Wieder einmal stellen wir fest, dass der Rückgriff auf Hotelübernachtungen keine Lösung für eine Neuunterbringung ist“.

Die Unicef teilt diese Feststellung und bedauert, dass bisher „der Rückgriff auf Hotelübernachtungen“ „die wichtigste Antwort“ auf die Obdachlosigkeit von Familien war. Unicef erinnert daran, dass das Hotel „für das Familienleben ungeeignet ist und es nicht ermöglicht, die Grundbedürfnisse der 27.102 dort lebenden Kinder, von denen 9.201 jünger als drei Jahre sind, zu befriedigen“.


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