Tag & Nacht

Die Kindheit der neuen Premierministerin, Élisabeth Borne, war geprägt vom Selbstmord ihres Vaters im Jahr 1972, als sie erst 11 Jahre alt war. Der als Bornstein geborene Joseph Borne, ein ehemaliger Widerstandskämpfer polnischer Herkunft, erlebte die Hölle des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau.

Die neue Premierministerin Élisabeth Borne hält sich in Bezug auf ihr Privatleben ebenso bedeckt wie in Bezug auf ihr Elternhaus, das vom Zweiten Weltkrieg geprägt war. Ihr Vater Joseph, ein jüdischer Widerstandskämpfer, wurde 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Nach seiner Befreiung im Jahr 1945 blieb er von den Erlebnissen der Inhaftierung tief gezeichnet. Joseph Borne nahm sich das Leben, als seine Tochter erst elf Jahre alt war.

„Es war nicht immer einfach. Ich habe meinen Vater verloren, als ich noch sehr jung war. Und so sind wir bei meiner Mutter aufgewachsen, die zwei Töchter hatte und kein grosses Einkommen“, hatte sie 2021 in einem Interview mit dem Fernsehsender C8 erzählt, ohne in weitere Details zu nennen.

Ihre Familie hat ihre Wurzeln in Polen. Ihr Großvater Zelig, der zusammen mit zwei seiner Söhne in Nazi-Lagern starb, floh in den 1920er Jahren vor dem Antisemitismus nach Belgien, wo er Arbeit bei einem Diamantenhändler fand. Ihr Vater Joseph wurde 1925 in Antwerpen unter dem Namen Bornstein geboren. Er war einer von vier Brüdern: Léon wurde 1921 geboren, Isaac 1923 und Albert 1930.

Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs musste die Familie erneut ins Exil gehen und flüchtete nach Südfrankreich, nach Toulouse, Montauban und schließlich nach Nîmes. Anna, die Grossmutter der heutigen Premierministerin, starb im Alter von nur 36 Jahren.

Das Foto stammt aus dem Jahr 1939. Zelig Bornstein, der in Lukow, Polen, geboren wurde, posiert mit seinen drei Söhnen: Joseph, Isaac und Leon. Alle vier wurden deportiert. Joseph und Isaac überleben, die anderen beiden nicht. Joseph (der erste von links auf dem Foto) ist der Vater von Elisabeth Borne.

Im August 1942 werden Joseph und sein Bruder Isaac als staatenlose Juden zum ersten Mal festgenommen und in das Lager Rivesaltes gebracht. „Zelig fährt nach Rivesaltes und schafft es, einen Wärter zu bestechen, der Isaac und Joseph ‚fliehen‘ lässt. Sie kehren Ende 1942 nach Nîmes zurück und beschließen, sich dem Widerstand anzuschließen“, erklärte Jean-Paul Boré, stellvertretender Vorsitzender der Freunde der Stiftung für das Gedenken an die Deportation im Gard. Später wurde auch Léon verhaftet. Er wird am 6. März 1943 in Richtung Sobibor deportiert, wo er später ermordet wird.

Die drei Bornstein-Brüder nennen sich ab Ende 1942 Borne. Sie hatten in der französischen Resistance den Auftrag, jüdische Männer und Frauen von Grenoble in das Departement Tarn zu bringen und Abraham Polonski, dem Gründer der Organisation juive de combat, einer jüdischen Widerstandsbewegung, zu übergeben.

Am 24. Dezember 1943 wurden der Vater Borne und seine Söhne in Grenoble von der Gestapo verhaftet.

Die Männer wurden am 20. Januar 1944 mit dem Konvoi 66 nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort lernen sie die Hölle der Konzentrationslager kennen. Joseph und Isaac Borne werden zur Arbeit eingeteilt. Ihre Brüder Zelig und Albert werden direkt in die Gaskammer getrieben.

Ein Jahr lang gelang es den beiden verbliebenen Borne-Brüdern, das lager zu überleben, Isaac erzählte später: „Wir haben immer alles geteilt, er mit mir und ich mit ihm“. Angesichts des Vormarsches der Roten Armee wurden sie im Januar 1945 weiter westlich in das Lager Buchenwald bei Weimar transportiert, wo sie am 11. April 1945 von den Amerikanern befreit wurden.

Nach ihrer Rückkehr nach Frankreich versuchte Joseph Borne im Calvados sein Leben neu aufzubauen und lernte die Apothekerin Marguerite Lescene kennen. Er konvertiert zum Christentum, um sie heiraten zu können. Das Paar bekam zwei Töchter, die Premierministerin Elisabeth wurde 1961 geboren.

Die junge Elisabeth wurde nach dem Selbstmord ihres Vaters Mündel der Nation und schaffte es trotz allem, eine glänzende Ausbildung zu absolvieren. In einem Interview mit Libération im Jahr 2015 gestand sie, dass sie an ihren Vater gedacht habe, als sie als Präfektin zum ersten Mal einem Migranten sein Einbürgerungsdekret überreichte: „Dass ich, die Tochter dieses staatenlosen Flüchtlings, der erst 1950 Franzose wurde, diese Geste vollzihen durfte, das sagt viel über Integration aus“.


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