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Die politische Vertrauenskrise in Frankreich hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Laut dem jährlichen Barometer des Cevipof (Centre de recherches politiques de Sciences Po) ist das Vertrauen der Franzosen in die Politik auf ein historisch niedriges Niveau gesunken. Nur noch 26 Prozent der Bevölkerung geben an, Vertrauen in die Politik zu haben. Damit liegt Frankreich weit hinter anderen europäischen Ländern: In Deutschland sind es 47 Prozent, in Italien immerhin noch 39 Prozent.

Eine tief verwurzelte Skepsis

Bruno Cautrès, Politikwissenschaftler und Forscher am Cevipof, spricht von einer „strukturellen“ Vertrauenskrise, die in diesem Ausmaß noch nie zuvor gemessen wurde. Besonders deutlich wird dies in der Haltung gegenüber der Regierung: Lediglich 23 Prozent der Franzosen vertrauen ihr, während in Deutschland 38 Prozent und in Italien 35 Prozent der Bürger ihr Vertrauen aussprechen.

Diese tief verwurzelte Skepsis unterscheidet Frankreich von anderen Demokratien. „Frankreich befindet sich in einer absoluten Schlussposition, wenn es um Vertrauen in die Zukunft, in sich selbst, in das öffentliche Handeln und in die Politik geht“, erklärt Cautrès. Die politische Entfremdung sei so weit fortgeschritten, dass viele Menschen die Politik als unfähig ansehen, die realen Probleme des Landes zu lösen.

Eine Krise der politischen Persönlichkeiten

Nicht nur Institutionen leiden unter dem Vertrauensverlust, sondern auch politische Persönlichkeiten. Laut der Studie genießt in Frankreich nur ein geringer Teil der Politiker Ansehen: Beispielsweise vertrauen nur 27 Prozent der Befragten François Bayrou, während in Italien Georgia Meloni 43 Prozent und in Deutschland Olaf Scholz 35 Prozent Zustimmung erhalten.

Dieser Vertrauensverlust ist nicht neu, hat sich aber in den letzten Jahren verschärft. „Um ein vergleichbares Misstrauen zu finden, muss man zurück in die Zeit der ‚Gelbwesten‘-Proteste im Dezember 2018 gehen“, so Cautrès. Damals hatte die massive Unzufriedenheit mit der Regierung von Emmanuel Macron zu landesweiten Protesten geführt.

Ursachen und Folgen

Der tiefgreifende Vertrauensverlust hat verschiedene Ursachen. Zum einen steht die politische Elite unter dem Verdacht, die Lebensrealität der Bürger nicht mehr zu verstehen oder sogar zu ignorieren. Zum anderen hat die Politik in den Augen vieler Menschen versagt, wirtschaftliche und soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit, Inflation oder soziale Ungleichheit effektiv zu bekämpfen.

Diese anhaltende Skepsis birgt langfristige Risiken für die Demokratie. Eine Entfremdung von der Politik könnte die Wahlbeteiligung weiter senken und extremen politischen Kräften Auftrieb verleihen. Sollte es der politischen Klasse nicht gelingen, Vertrauen zurückzugewinnen, könnte Frankreich vor einer noch größeren politischen Krise stehen.

Von Andreas Brucker

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