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Weniger Lohn, mehr Gewalt, kaum Fortschritte – trotz großer Versprechungen kommt Frankreich bei der Gleichstellung von Frauen und Männern nur schleppend voran. Ein neuer Bericht der NGO Oxfam rügt die Regierung scharf und spricht von einem „begrabenen“ Versprechen.

Von der „großen Sache“ zur großen Enttäuschung

Als Emmanuel Macron 2017 die Gleichstellung der Geschlechter zur „großen Sache“ seiner Amtszeit erklärte, klang das wie ein Meilenstein. Doch wo steht Frankreich heute? Laut Oxfam: weit hinten. Die Organisation kritisiert, dass das Thema durch Budgetkürzungen und politische Instabilität an Priorität verloren habe.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Der französische Rechnungshof bemängelte bereits im Januar, dass die Gleichstellungspolitik des Staates kaum spürbare Fortschritte bringe. Noch drastischer ist die globale Perspektive: Bei gleichbleibendem Tempo würde es laut Oxfam fast 300 Jahre dauern, bis echte Gleichstellung erreicht ist.

Einer der kleinsten Budgets in Europa

Ein Blick auf die Finanzen offenbart, wo das Problem liegt. Der Etat des Ministeriums für Gleichstellung liegt 2025 bei weniger als 100 Millionen Euro – das sind nur 0,02 % des gesamten Staatshaushalts. Zum Vergleich: Spanien, oft als Vorbild in Sachen Geschlechtergerechtigkeit genannt, investiert über 500 Millionen Euro pro Jahr.

„Seit Jahren warnen wir davor, dass zu wenig getan wird“, sagt Sarah Lhote Fernandes, Kampagnenleiterin bei Oxfam Frankreich. Die Situation habe sich durch politische Krisen und Budgetkürzungen sogar noch verschlechtert.

Aber was bedeutet das konkret für die Frauen in Frankreich?

Wirtschaftliche Ungleichheit bleibt fest verankert

Seit 1946 steht die Gleichstellung in der französischen Verfassung, doch die Realität sieht anders aus. Frauen verdienen im Privatsektor 22,2 % weniger als Männer – und das Jahr 2072 scheint der früheste Zeitpunkt, um diese Lücke zu schließen, wenn sich nichts ändert.

Das Problem? Eine „doppelte Segregation“ auf dem Arbeitsmarkt:

  • „Klebender Boden“: Frauen sind überdurchschnittlich oft in schlecht bezahlten Berufen tätig.
  • „Gläserne Decke“: In Spitzenpositionen sind sie immer noch stark unterrepräsentiert.

Auch die Mutterschaft bleibt ein Karrierekiller. Noch immer sind es meist Frauen, die ihre berufliche Laufbahn für die Familie opfern.

Elternzeit: Frankreich hinkt hinterher

Warum bleiben Frauen häufiger zu Hause als Männer? Die Antwort liegt im schlecht bezahlten Elternurlaub. In Frankreich gibt es zwar 16 Wochen Mutterschutz, aber nur 28 Tage Vaterschaftsurlaub. Und der Elternurlaub ist mit 400 Euro im Monat kaum ein attraktives Angebot für Väter.

Die Zahlen sprechen für sich: Während in Schweden 85 % der Väter Elternzeit nehmen, sind es in Frankreich weniger als 1 %. Selbst Spanien, das die Elternzeit für Mütter und Väter auf jeweils 16 Wochen angeglichen hat, zeigt, dass Gleichstellung möglich ist – wenn man es denn wirklich will.

Macron kündigte zwar vor einem Jahr eine Reform an, um einen „Geburtsurlaub“ für beide Elternteile einzuführen – doch seither? Funkstille. Oxfam fordert jetzt nicht nur eine Verbesserung der Elternzeit, sondern auch einen echten öffentlichen Dienst für die frühe Kindheit.

Denn ohne genügend Kita-Plätze bleibt die Last der Kinderbetreuung an den Müttern hängen. Der Plan, bis 2030 rund 200.000 neue Kita-Plätze zu schaffen, wurde zwar verkündet, aber seitdem ist nichts passiert. Über 50 % der Kinder haben aktuell keinen Betreuungsplatz – mit vorhersehbaren Folgen für Frauen im Berufsleben.

Gewalt gegen Frauen: Ein unzureichender Kampf

Während feministische Organisationen immer wieder auf die katastrophale Lage hinweisen, bleiben die Maßnahmen der Regierung Stückwerk. 2025 sollen 94 Millionen Euro für den Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt zur Verfügung stehen – eine Erhöhung um 20 %, aber immer noch weit entfernt von den 2,6 Milliarden Euro, die laut der „Fondation des Femmes“ nötig wären.

Der Staat lobt sich selbst für 6.500 Notruf-Telefone und 817 Anti-Näherungs-Armbänder für Täter. Doch angesichts von 373.000 Frauen, die 2023 Opfer von Gewalt durch ihre (Ex-)Partner wurden, ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Feministische Verbände fordern eine umfassende gesetzliche Regelung, die alle Formen von Gewalt gegen Frauen systematisch angeht. Doch der Staat lehnt dies ab – die bestehenden Gesetze würden ausreichen, heißt es. Aber wenn das stimmt, warum sind die Zahlen dann immer noch so hoch?

Frankreichs feministische Außenpolitik bröckelt

Frankreich rühmt sich, eine „feministische Diplomatie“ zu betreiben – doch auch hier macht sich die Sparpolitik bemerkbar. Die Entwicklungshilfe wird um zwei Milliarden Euro gekürzt – das sind 37 % weniger als im Vorjahr.

Diese Mittel sind jedoch essenziell für die Förderung der Geschlechtergerechtigkeit weltweit. Die UN warnte erst kürzlich, dass globale Programme zum Schutz von Frauen unterfinanziert sind.

Sarah Lhote Fernandes bringt es auf den Punkt: „In einer Welt, in der konservative und antifeministische Strömungen wieder erstarken, kann es sich Frankreich nicht leisten, bei diesem Thema nachzulassen.“

Und nun?

Frankreich steht an einem Scheideweg. Während andere Länder mutige Reformen vorantreiben, wirkt die französische Politik wie ausgebremst. Die Frage ist: Bleibt Gleichstellung eine leere Versprechung – oder folgt endlich die Tat?

Autor: C. Hatty

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