Mitten in einer ohnehin angespannten Weltlage bringt J.D. Vance, Vizepräsident der Vereinigten Staaten, eine Debatte ins Rollen, die das transatlantische Verhältnis von Grund auf neu definieren könnte. In einem Interview mit dem Portal UnHerd fordert er eine grundsätzliche Neuausrichtung: Europa solle sich endlich aus der sicherheitspolitischen Abhängigkeit von den USA lösen – und selbst Verantwortung übernehmen. Seine Wortwahl? Deutlich. Der Ton? Provokant. Die Reaktionen? Entsprechend heftig.
Worte, die wie ein Weckruf klingen – oder ein diplomatischer Affront?
„Europa ist unser Verbündeter, aber es darf kein dauerhafter Vasall der Vereinigten Staaten in Sicherheitsfragen sein.“ Mit diesem Satz entfesselt Vance nicht nur eine hitzige Diskussion, sondern stellt auch die Grundpfeiler der westlichen Bündnispolitik infrage.
Sein Appell richtet sich an die Europäer: Sie müssten unabhängiger werden – nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich. Nur so könne eine echte Partnerschaft auf Augenhöhe entstehen. Die transatlantischen Beziehungen sollen laut Vance künftig von mehr Gleichgewicht und Eigenverantwortung geprägt sein.
Eine Linie, die nicht neu ist – aber immer schärfer wird
Bereits während seiner ersten Amtszeit hatte Donald Trump Europa gedrängt, mehr für die eigene Verteidigung zu tun – insbesondere innerhalb der NATO. Jetzt, unter seiner zweiten Präsidentschaft, wird diese Forderung erneut mit Nachdruck vertreten.
Vance folgt dabei dem Trump’schen Kurs, geht aber in seiner Rhetorik noch weiter. Schon im Februar, auf der Münchner Sicherheitskonferenz, kritisierte er europäische Regierungen wegen mangelnder Maßnahmen gegen Migration und kritisierte vermeintliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Im März erklärte er sogar, ein Handelsabkommen zwischen der Ukraine und den USA sei „eine bessere Sicherheitsgarantie als 20.000 Soldaten irgendeines Landes, das seit 30 oder 40 Jahren keinen Krieg geführt hat“.
Solche Aussagen sind Sprengstoff – politisch wie symbolisch.
Rückblick mit Seitenhieb: Die Irak-Invasion als Mahnmal
Überraschend offen zeigt sich Vance bei einem weiteren Thema: der Irak-Krieg. Eine stärkere, unabhängigere EU hätte dieses „strategische Desaster“ seiner Meinung nach vielleicht verhindern können. Damit rückt er nicht nur vom traditionellen Selbstverständnis amerikanischer Außenpolitik ab, sondern nutzt die Vergangenheit, um seine Forderungen für die Zukunft zu unterstreichen.
Obwohl viele diesen Blick auf den Irak teilen, ist es ungewöhnlich, dass ein US-Vizepräsident derart deutlich Kritik am eigenen Land übt – und diese kritik gleichzeitig als Argument gegen Europas bisherige Rolle nutzt.
Neue Töne – neue Unsicherheit
In Europa sorgen diese Aussagen für noch mehr Nervosität. Manche sehen darin den Versuch, die jahrzehntelange Partnerschaft systematisch zu entwerten. Andere interpretieren es als Einladung zur Neujustierung – mit Chancen auf mehr Selbstbestimmung, aber auch mehr Verantwortung. Und dann gibt es noch die Skeptiker, die schlicht befürchten, dass Amerika sich weiter zurückzieht und Europa im Ernstfall auf sich allein gestellt bleibt.
Was, wenn Europa gezwungen wird, sich wirklich unabhängig aufzustellen – und dabei feststellt, dass die alte Allianz gar nicht mehr existiert?
Von M.A.B.
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