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Die französische Regierung steht wegen erheblicher Defizite im Kinderschutz unter Druck. Die unabhängige Behörde der Verteidigerin der Rechte, unter Leitung von Claire Hédon, hat in einer am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme mehr als 30 Empfehlungen formuliert, um gegen die „schweren Mängel“ in der Kinder- und Jugendhilfe vorzugehen. Sie fordert, dass der Staat innerhalb von vier Monaten über die Umsetzung ihrer Vorschläge Rechenschaft ablegt.

Wachsende Defizite trotz wiederholter Warnungen

Die Behörde stellt fest, dass sich die Lage des Kinderschutzes in Frankreich in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert hat, trotz mehrfacher Mahnungen von Fachleuten und Justizvertretern. Besonders im Jahr 2022 hätten erstmals Jugendrichter direkt auf die gravierenden Mängel in ihren Departements hingewiesen.

Ein tragisches Beispiel ist der Fall der 15-jährigen Lily, die 2023 in einem Hotel Suizid beging, nachdem sie durch die soziale Jugendhilfe dort untergebracht worden war. Ihr Schicksal verdeutlicht die strukturellen Probleme und den Mangel an geeigneten Einrichtungen für schutzbedürftige Minderjährige.

Forderungen nach mehr finanzieller und personeller Unterstützung

Einer der zentralen Kritikpunkte der Verteidigerin der Rechte ist die unzureichende Finanzierung des Kinderschutzes. Seit den Dezentralisierungsgesetzen von 1982 und 1983 liegt die Verantwortung für den Kinderschutz bei den Departements. Hédon fordert, dass der Staat die damit verbundenen Mehrkosten angemessen ausgleicht und das Budget für soziale Dienste deutlich erhöht.

Besonders problematisch sei die unzureichende Ausstattung der Justiz, die ihrer Rolle beim Schutz von Kindern nicht gerecht werden könne. Lange Wartezeiten für Gerichtsentscheidungen und soziale Untersuchungen seien die Folge.

Prävention und Schulsozialarbeit im Fokus

Auch in der Prävention bestehe dringender Handlungsbedarf. Die Behörde betont die Notwendigkeit eines gut ausgebauten schulischen Sozialdienstes, der bereits in Grundschulen etabliert werden sollte. Zudem sollen Lehrkräfte in ihrer Ausbildung besser auf den Umgang mit Kinderschutzfragen und Gewaltprävention vorbereitet werden.

Besondere Herausforderungen: Unbegleitete Minderjährige und behinderte Kinder

Ein weiteres alarmierendes Thema sind unbegleitete minderjährige Migranten (MNA), die oft nicht angemessen betreut werden. Die Behörde fordert, dass ihre Unterbringung in Zusammenarbeit mit den Präfekturen besser koordiniert wird. Zudem sieht sie eine besorgniserregende Tendenz, Kinder mit Behinderungen aus der allgemeinen Kinder- und Jugendhilfe auszuschließen. Sie mahnt, dass der Kinderschutz frei von Diskriminierung sein muss und alle gefährdeten Kinder gleichermaßen erfasst.

Gesundheitliche Versorgung und psychologische Betreuung

Neben der strukturellen Unterfinanzierung sieht die Behörde erhebliche Mängel in der psychologischen Betreuung der betroffenen Kinder. Viele leiden an Bindungsstörungen und traumatischen Erfahrungen, doch der Mangel an Fachkräften und spezialisierten Einrichtungen führt zu häufigen Betreuungsabbrüchen und wechselnden Unterbringungsorten.

Um dem entgegenzuwirken, fordert die Verteidigerin der Rechte die landesweite Einrichtung von speziellen kinderpsychiatrischen Anlaufstellen.

Ein System am Limit

Der Kinderschutz in Frankreich steht unter enormem Druck: Rund 390.000 Kinder stehen derzeit unter dem Schutz der sozialen Dienste. Doch der Sektor leidet unter einem akuten Fachkräftemangel, einem Defizit an Unterbringungsmöglichkeiten und einer steigenden Anzahl von Schutzbedürftigen. Die Forderungen der Behörde setzen die Regierung unter Zugzwang, denn ohne umfassende Reformen dürften sich die Missstände weiter verschärfen.

Von M.A.B.


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