Seit ihrer Gründung im Jahr 2022 haben sich fast 1.600 Betroffene sexualisierter Gewalt durch kirchliche Amtsträger an die unabhängige Instanz Inirr gewandt. Diese von der Französischen Bischofskonferenz ins Leben gerufene Organisation soll Anerkennung und Entschädigung für das erlittene Leid bieten – ein Versuch, Gerechtigkeit nach Jahrzehnten des Schweigens und Wegschauens zu ermöglichen.
Ein zögerlicher Anfang – und ein plötzlicher Anstieg
Anfangs bewegte sich die Zahl der monatlichen Anfragen eher im unteren Bereich. Im Februar dieses Jahres jedoch verzeichnete Inirr eine deutliche Zunahme: 31 Menschen wandten sich innerhalb eines Monats an die Instanz – dreimal mehr als üblich. Auslöser war die breite Berichterstattung rund um die Vorfälle im katholischen Internat Notre-Dame de Bétharram sowie die Enthüllungen über den einst hoch geachteten Abbé Pierre.
Diese Ereignisse rüttelten auf. Sie machten sichtbar, wie tief der Schmerz noch sitzt – und wie dringend viele Menschen die Möglichkeit suchen, gehört zu werden.
Wer sind die Betroffenen?
Die meisten von ihnen sind heute zwischen 50 und 60 Jahre alt. Viele wurden in den 1970er, 80er oder 90er Jahren missbraucht – also zu einer Zeit, als die Kirche noch als moralische Instanz galt und Kritik an Priestern tabu war. Rund zwei Drittel der Opfer sind Männer. Besonders erschreckend: In der Hälfte der Fälle waren die Kinder zwischen 11 und 15 Jahren alt, als die Übergriffe begannen. Und sie dauerten oft über Jahre hinweg an – in 52 Prozent der Fälle zwischen ein und fünf Jahren.
Was leistet Inirr konkret?
Insgesamt hat die Instanz bislang 765 Entscheidungen getroffen. Fast alle beinhalten auch eine finanzielle Komponente – 99 Prozent der Fälle. In 132 davon wurde die höchstmögliche Entschädigungssumme von 60.000 Euro zugesprochen. Im vergangenen Jahr lag die durchschnittliche Zahlung bei 36.430 Euro.
Doch Geld ist nur ein Teil der Wiedergutmachung. Viele Opfer wünschen sich vor allem Anerkennung und das Eingeständnis der Kirche, dass ihnen Unrecht widerfahren ist – und dass dieses Unrecht jahrzehntelang vertuscht wurde.
Ein Tropfen auf den heißen Stein?
Angesichts der vom „Sauvé-Bericht“ geschätzten Zahl von 330.000 betroffenen Minderjährigen in Frankreich wirkt die Zahl der bislang registrierten Fälle beinahe winzig. Warum melden sich nicht mehr Menschen?
Vielleicht liegt es an der Scham, an der Angst, nicht ernst genommen zu werden. Vielleicht auch daran, dass viele Betroffene sich noch nicht bereit fühlen, ihr Schweigen zu brechen. Oder – was besonders bitter wäre – weil sie kein Vertrauen mehr in kirchliche Strukturen haben, selbst wenn diese sich nun „unabhängig“ nennen.
Zwei Instanzen, ein Ziel
Neben der Inirr gibt es noch eine zweite Einrichtung: die CRR, zuständig für Opfer aus religiösen Orden und Gemeinschaften. Beide wurden als Reaktion auf den Schock des „Sauvé-Berichts“ gegründet – einem Dokument, das Frankreichs Gesellschaft zutiefst erschütterte. Doch noch ist viel zu tun, um das volle Ausmaß der Taten aufzuarbeiten und langfristig Vertrauen zurückzugewinnen.
Denn eines steht fest: Die Seelen der Betroffenen tragen oft Wunden, die kein Geld der Welt heilen kann. Aber es ist ein Anfang.
Und wer, wenn nicht die Kirche selbst, sollte sich dieser Verantwortung stellen?
Von C. Hatty
Quellen:
https://nachrichten.fr
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!