Tag & Nacht

Der französische Präsident Emmanuel Macron empfing Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch zum Mittagessen. Beide erklärten anschliessend, sie hätten Fortschritte bei der Überwindung der Differenzen in den Bereichen Energie und Verteidigung gemacht. Allerdings wurde eine zunächst geplante Pressekonferenz kurzfristig abgesagt.

Die beiden Staats- und Regierungschefs waren sich „über die wichtigsten politischen Richtungen einig“, liess eine deutsche diplomatische Quelle nach dem Treffen verlauten. Eine Quelle in der französischen Präsidentschaft bezeichnete das Treffen als „sehr konstruktiv“.

„Heute gab es ein sehr gutes und wichtiges Gespräch über die europäische Energieversorgung, steigende Preise und gemeinsame Rüstungsprojekte“, twitterte Scholz. „Deutschland und Frankreich stehen eng zusammen und gehen die Herausforderungen gemeinsam an“.

Der Präsident und der Kanzler sprachen etwa eine Stunde länger als geplant miteinander, einschließlich eines Einzelgesprächs ohne Berater.

Von deutscher Seite wurde bekannt, sie hätten unter anderem über „europäische Energiepolitik, nationale Energiepolitik, wirtschaftliche Entwicklung, Verteidigung, Raumfahrt und Außenpolitik“ gesprochen. Von französischer Seite hiess es, die Gespräche seien „im Geiste einer sehr engen mittel- und langfristigen Zusammenarbeit“ geführt worden.

Macron und Scholz traten jedoch nicht vor Journalisten auf, um gemeinsame Entscheidungen anzukündigen oder Fragen zu beantworten.

In den letzten Wochen hatten sich die Anzeichen für Unstimmigkeiten zwischen Berlin und Paris unter dem Druck des russischen Einmarsches in der Ukraine und dessen Auswirkungen, insbesondere auf die Energiemärkte, verstärkt. Insbesondere die Entscheidung Berlins, bis zu 200 Milliarden Euro für die Subventionierung der steigenden Gaspreise auszugeben, und die Weigerung, eine EU-weite Obergrenze für Energiepreise in Betracht zu ziehen, verärgerte Paris und andere europäische Hauptstädte, die dadurch Auswirkungen auf ihre Energiekosten fürchten.

Im Bereich der Verteidigung ist Frankreich verärgert über die deutschen Pläne für ein gemeinsames Raketenabwehrsystem mit anderen NATO-Staaten, bei dem amerikanisches Gerät zum Einsatz kommen soll, während deutsch-französische Projekte zur gemeinsamen Entwicklung neuer Kampfflugzeuge und Panzer ins Stocken geraten zu sein scheinen.

Die von Scholz nach dem russischen Angriff angekündigte „neue Ära“ der deutschen Verteidigungspolitik, die hohe Ausgaben vorsieht, hat sich nicht, wie von Macron erhofft, in größeren Aufträgen innerhalb Europas niedergeschlagen, insbesondere nicht für französische Firmen.

Das Treffen am Mittwoch fand anstelle einer auf unbestimmte Zeit verschobenen gemeinsamen Kabinettssitzung der beiden Regierungen statt, die Scholz‘ erste als Bundeskanzler gewesen wäre. Bisher ist es dem deutschen Regierungschef, der seit weniger als einem Jahr im Amt ist, nicht gelungen, die gleiche Wärme im Umgang mit Macron zu entwickeln, wie seiner Vorgängerin Angela Merkel, mit der sich Macron „jeden Tag eine SMS schrieb“.

Die angespannten Beziehungen zwischen den beiden größten und bevölkerungsreichsten Volkswirtschaften der EU – in der Vergangenheit oft Vermittler von Kompromissen zwischen den 27 Mitgliedern des Blocks – kommen genau zum falschen Zeitpunkt.

Der Einmarsch Russlands und die daraus resultierende Spannungen un der Energieversorgung fielen mit den zunehmenden Spannungen zwischen China und dem Westen sowie der Befürchtung zusammen, dass isolationistischere Kräfte in Washington wieder an die Macht kommen könnten. Berlin und Paris sind sich auch uneins darüber, wie die EU angesichts der neuen Herausforderungen schneller und besser reagieren kann und wie schnell neue Mitglieder aufgenommen werden sollen.

Macron warnte, dass „wir beide, zusammen mit der EU als Ganzes, mit einer der größten und weitreichendsten Krisen konfrontiert sind, die Europa je erlebt hat“, und dass „eine Menge Arbeit vor uns liegt“.

„Eine Einigung zwischen Frankreich und Deutschland reicht nicht aus, weil auch alle anderen zustimmen müssen, aber sie ist notwendig“, sagte Stephane Dion, kanadischer Botschafter in Frankreich und ehemaliger Gesandter in Deutschland. „Sie bleiben der Motor Europas. Wenn Europa funktionieren soll, muss dieser Motor auch funktionieren“.

Frankreichs Europaminister Laurence Boone mahnte am Mittwoch in einer Rede vor dem Senat, dass die beiden Länder versuchen sollten, ihre Differenzen „bis zum 60. Jahrestag des Elysée-Vertrags“ am 22. Januar beizulegen. Der von den Nachkriegsführern Charles De Gaulle und Konrad Adenauer unterzeichnete Pakt bildet die Grundlage der deutsch-französischen Zusammenarbeit.

Vorerst haben sich Macron und Scholz darauf geeinigt, „Arbeitsgruppen einzurichten…, in denen die beiden Regierungen in den kommenden Tagen eng zusammenarbeiten werden, um die nächsten Schritte zu unternehmen“, so der Elysée-Palast. Die Arbeitsgruppen decken Themen wie Verteidigung und Sicherheit, Energie und Innovation ab, so eine deutsche Quelle.

Macron und Scholz vereinbarten weitere Gespräche „vor und nach“ dem bevorstehenden Besuch des deutschen Regierungschefs in China und dem Besuch des französischen Präsidenten in den USA.


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