In Frankreich sorgt das identitäre Kollektiv Némésis seit seiner Gründung 2019 immer wieder für Schlagzeilen. Die Gruppe, die sich selbst als „feministisch“ bezeichnet, ist bekannt für provokative Aktionen und xenophobe Äußerungen. Zuletzt geriet Innenminister Bruno Retailleau in die Kritik, nachdem er öffentlich Lob für den Kampf des Kollektivs aussprach – eine Aussage, die er später zurückzog. Doch wer ist dieses Kollektiv, das eine Mischung aus Feminismus und rechtsextremen Ideologien propagiert?
Ein identitäres Kollektiv mit klaren Feindbildern
Der Name Némésis, inspiriert von der griechischen Rachegöttin, lässt wenig Raum für Zweifel: Dieses Kollektiv sieht sich als Rächer gegen vermeintliche gesellschaftliche „Missstände“. Die Mitglieder, laut eigenen Angaben etwa 200, haben ein klares Feindbild – Migranten, Muslime und Andersdenkende. Die Gruppe behauptet, dass die Mehrheit der sexuellen Übergriffe in Frankreich von Migranten verübt werde, und scheut sich nicht, dies mit plakativen Botschaften zu verbreiten.
Ein besonders aufsehenerregender Moment ereignete sich 2019: Während einer feministischen Demonstration in Paris, organisiert von #NousToutes, hielten Mitglieder von Némésis Schilder hoch, auf denen Slogans wie „Fremde Vergewaltiger raus“ zu lesen waren. Diese Provokationen sind kein Einzelfall – sie ziehen sich wie ein roter Faden durch die Aktivitäten der Gruppe.
Alice Cordier: Das Gesicht von Némésis
An der Spitze von Némésis steht eine Frau, die unter dem Pseudonym Alice Cordier auftritt. Sie ist das Sprachrohr und die zentrale Figur des Kollektivs. Mit ihrem gezielten Einsatz in den Medien – sei es auf CNews, in Talkshows wie „Touche pas à mon poste“ oder anderen Plattformen – hat sie es geschafft, die Gruppe ins Rampenlicht zu rücken. Cordier beschreibt sich selbst als „feministische Identitäre“ oder schlicht als „Feministin der Rechten“.
Doch wer glaubt, Cordier sei eine einfache Aktivistin, irrt: Sie gilt als professionelle Kommunikatorin, die ihre Botschaften strategisch platziert. Magali Della Sudda, Forscherin und Autorin, bezeichnet sie gar als „Politik-PR-Expertin“. Ihr Erfolg basiert auf gezielter Provokation, verbunden mit einer rhetorischen Fähigkeit, die vor allem in rechtskonservativen Kreisen Anklang findet.
Innenminister Retailleau: Eine fragwürdige Nähe
Am 21. Januar 2025 sprach Innenminister Bruno Retailleau öffentlich seine Unterstützung für den „Kampf“ von Némésis aus. „Bravo für Ihren Kampf“, erklärte er und fügte hinzu, dass er den Positionen der Gruppe nahe stehe. Diese Aussage löste einen Sturm der Entrüstung aus, insbesondere unter linken Abgeordneten. Clémence Guetté von La France insoumise kritisierte, dass ein Minister ein „gewalttätiges und rassistisches rechtsextremes Kollektiv“ unterstütze.
Wenige Tage später ruderte Retailleau zurück. In einem Interview betonte er, dass er die radikalen Positionen der Gruppe nicht teile, sondern sich lediglich auf den Kampf gegen Antisemitismus und Islamismus bezogen habe. Doch der Schaden war angerichtet – die Debatte über die Nähe zwischen Politik und extrem rechten Gruppierungen erhielt neuen Zündstoff.
Provokationen als Markenzeichen
Der Erfolg von Némésis ist eng mit ihrer provokativen Strategie verknüpft. Immer wieder mischt sich die Gruppe in öffentliche Veranstaltungen ein. Ob bei der Karnevalsfeier in Besançon oder bei feministischen Demonstrationen – die Botschaften sind immer dieselben: Anti-Migration und die Forderung nach einer „Rückführung ausländischer Straftäter“. Diese Aktionen führten mehrfach zu Anzeigen wegen Aufrufs zu Rassenhass und Diskriminierung.
Ein Beispiel: Im Januar 2024 störten Némésis-Mitglieder die Neujahrsfeier der Bürgermeisterin von Besançon, Anne Vignot, und entrollten eine provokante Banneraufschrift. Die Reaktion? Eine Anzeige der Stadtverwaltung und eine erneute Welle der Empörung – aber auch neue Schlagzeilen, die Némésis in den Fokus rückten.
Die Verbindung zum Rassemblement National
Offiziell ist Némésis nicht mit dem Rassemblement National (RN) verbunden. Dennoch lassen sich ideologische Überschneidungen nicht leugnen. Mitglieder des RN, darunter prominente Politiker wie David Rachline und Julien Odoul, haben in der Vergangenheit Sympathie für Némésis gezeigt. Die Gruppe selbst unterstützt regelmäßig Kampagnen des RN und seiner Verbündeten.
Ein besonders symbolischer Akt war die Verleihung einer „Mutmedaille“ durch den rechtsextremen Senator Stéphane Ravier an eine Némésis-Aktivistin im Jahr 2024. Diese symbolischen Gesten verdeutlichen die Nähe zwischen der Gruppe und den politischen Parteien der extremen Rechten.
Wie weit kann Provokation gehen?
Die Aktivitäten von Némésis werfen eine entscheidende Frage auf: Wie weit darf politische Provokation gehen, bevor sie in Hetze und Gewalt umschlägt? Während Unterstützer der Gruppe ihre Aktionen als legitimen Protest sehen, sprechen Kritiker von einer gefährlichen Radikalisierung, die die Gesellschaft spaltet. Dass eine Organisation mit solchen Botschaften als „feministisch“ auftritt, erscheint vielen als blanker Zynismus – Feminismus, der auf Ausgrenzung basiert, widerspricht den Grundwerten der Bewegung.
Es bleibt zu beobachten, wie sich die politische Landschaft in Frankreich entwickelt und ob Gruppen wie Némésis weiterhin eine Plattform finden werden. Eines steht fest: Ihr Einfluss ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Spannungen und der Debatte über Migration und Identität in Europa.
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