Tag & Nacht

Gestern Abend brachte die zweite Runde der Parlamentswahlen eine starke Enttäuschung für Emmanuel Macron, der sich nun vor allem mit den Konservativen der Partei LR arrangieren muss, um seine Gesetzesvorhaben und Wahlversprechen durchbringen zu können.

Gestern Abend ging es um die Zukunft Macrons zweiter fünfjährigen Amtszeit. Emmanuel Macron war der jüngste Präsident der V. Republik und der erste, der außerhalb der ohne eine Koalition wiedergewählt wurde. Seit 2002 ist er nun auch der einzige Präsident, der die absolute Mehrheit im Parlament verfehlt hat. Seine neue Premierministerin Elisabeth Borne gewinnt auch nur mit einem knappen Vorsprung.

Eigentlich wird erwartet, dass die Wähler dem frisch gewählten Präsidenten auch eine Parlamentsmehrheit geben. Das funktionierte eigentlich immer, wenn Präsidentschafts- und Parlamentswahlen sehr nahe aufeinanderfolgen. Diesmal lagen acht Wochen dazwischen. Das heißt, eine kleine Ewigkeit…

Für Emmanuel Macron war es ein langer und schwieriger Wahlkampf. Élisabeth Borne, die seit ihrer Ernennung umstritten ist, konnte den Kandidaten der Präsidentschaftsmehrheit auch keine Dynamik verleihen. Die Ernennung eines Bildungsministers, der weit von den Werten vieler rechtseingestellter Wähler, die Emmanuel Macron bislang unterstützt hatten, entfernt ist, hat einen Teil der Wählerschaft verunsichert. Die Polemik um die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Damien Abad hat die ersten Schritte der Regierung zusätzlich erschwert. Dies ging so weit, dass Emmanuel Macron selbst Wahlkampf betreiben musste. Offensichtlich ohne Erfolg, denn die Ergebnisse vom letzten Sonntag waren für die bisherige Mehrheit verheerend.

Abgesehen von den acht Wochen verfehlter Kampagne wurden am Sonntagabend auch die fünf Jahre der ersten Regierungszeit Macrons abgestraft. Indem er die Debatte über die Rentenreform neu entfachte, riss Emmanuel Macron kaum geschlossene Wunden wieder auf. Der Wahlkampf zeigte den Wählern auch deutlich, dass im Bereich Umwelt während der ersten fünfjährigen Amtszeit sehr wenig getan worden war, und gab damit dem neuen Linksbündnis Nupes Auftrieb. Als der Präsident kurz vor der ersten Runde der Parlamentswahlen seinen Conseil National de la Refondation ins Leben rief, erinnerte er die Franzosen schmerzlich daran, dass in der Vergangenheit die Versprechen, die aus den großen Debatten hervorgegangen waren, nicht unbedingt eingehalten worden waren…

Die Franzosen wollten den scheidenden Präsidenten zwar wiederwählen, haben sich aber geweigert, ihm jene breite Mehrheit zu geben, die ihn seit 2017 fast allmächtig gemacht hat. Emmanuel Macron wird über jeden einzelnen Text mit den Parlamentariern verhandeln müssen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die Nationalversammlung ab nächster Woche in einen kaum kontrollierbaren Hexenkessel verwandeln wird.


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