Nach Parlamentswahlen richten sich in Deutschland alle Blicke auf ein fast schon ritualisiertes Schauspiel: die Koalitionsverhandlungen. Parteien, die sich zuvor teils heftig bekämpft haben, setzen sich zusammen an den Verhandlungstisch, um Kompromisse zu schmieden. Das Ziel ist klar: Eine regierungsfähige Mehrheit im Bundestag. Nur so kann die politische Arbeit effektiv und langfristig erfolgen.
Das Konzept der Koalitionsbildung ist tief in der politischen Kultur Deutschlands verwurzelt. Es basiert auf dem Verständnis, dass Demokratie nicht nur an der Wahlurne, sondern vor allem auch in den Verhandlungen danach stattfindet. Das Ergebnis dieser Verhandlungen ist häufig eine stabile Regierung, die – gestützt auf ihre Mehrheit im Parlament – handlungsfähig ist. Sicher, es gibt immer mal wieder Reibungen, aber insgesamt sorgt dieses Modell für eine kontinuierliche Politik, die auf breitem Konsens beruht.
Schauen wir nun nach Frankreich: Hier regiert ein Präsident, der über immense Machtbefugnisse verfügt. Doch das politische System stößt an seine Grenzen, wenn die Nationalversammlung nicht den gewünschten Rückhalt bietet. Es ist kein Geheimnis, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach den letzten Parlamentswahlen vor einem Dilemma steht. Seine Partei hat keine absolute Mehrheit mehr und auch keine andere Partei hat eine solche Mehrheit der Wählerstimmen erreicht, und plötzlich gilt es, politische Allianzen zu schmieden – eine Herausforderung, die für das französische System eher untypisch ist.
Was dann folgte, war eine politische Farce, die viele Beobachter mit Erstaunen – und einige sogar mit Sorge – verfolgen. Macron entschied, sich aktiv und maßgeblich in die Regierungsbildung einzumischen. Anstatt der stärksten politischen Gruppe in der Nationalversammlung das Recht zur Regierungsbildung zuzugestehen, blockiert er diesen Weg und sucht nach alternativen Mehrheiten, die ihm besser ins Konzept passen. Doch ist das wirklich die richtige Entscheidung?
Auf den ersten Blick mag man sagen: „Der Präsident nutzt seine Macht, um das Beste für das Land zu erreichen.“ Doch die Realität ist komplexer. Macrons Handeln hat die politische Landschaft Frankreichs weiter zersplittert und alte Fronten verhärtet. Man könnte fast meinen, er habe das politische Chaos, das er zu vermeiden suchte, selbst verstärkt.
Aber warum?
Anders als in Deutschland, wo Koalitionsverhandlungen auf Kompromiss und Konsens abzielen, scheint in Frankreich eine tief verwurzelte Kultur des politischen Dominierens zu herrschen. Der Präsident möchte nicht nur regieren, er möchte kontrollieren. Dieses Machtstreben hat jedoch seinen Preis. Anstatt es den Parteien in der Nationalversammlung zu überlassen, eine Regierung zu formen, die das Vertrauen einer Mehrheit der Abgeordneten genießt, schafft er eine fragile Konstruktion, die jederzeit zusammenbrechen könnte – und das in einem Land, das ohnehin schon mit sozialen Spannungen und wirtschaftlichen Herausforderungen kämpft. Und setzt sich selbst – nicht ganz ungerechtfertigt – dem Vorwurf einer undemokratischen Handlungsweise aus.
Man fragt sich: Was wäre passiert, wenn Macron den Weg der deutschen Kanzlerwahl gegangen wäre? Vielleicht hätte eine stabile Regierung auf der Basis eines breiten Konsenses geformt werden können. Doch dieser Weg erfordert nicht nur Geduld, sondern auch die Bereitschaft, Macht zu teilen – etwas, das im französischen Präsidialsystem, das auf zentralisierter Macht beruht, nicht gerade üblich ist.
Natürlich hat jede Nation ihre eigenen politischen Traditionen und Mechanismen. Doch während Deutschland auf Kooperation und langwierige Verhandlungen setzt, droht in Frankreich eine immer stärker werdende Polarisierung. Es stellt sich die Frage: Kann ein Präsident, der seine Macht so rigoros ausspielt, tatsächlich die notwendigen Brücken bauen, um das Land voranzubringen?
Die Antwort bleibt ungewiss. Doch eines ist klar: Ein solches Vorgehen birgt Risiken. Wenn Macron weiterhin den Eindruck vermittelt, dass er politische Mehrheiten erzwingen will, statt den Parteien und Gruppiereungen, die vom Volk gewählt wurden, zu ermöglichen, sie zu formen, könnte dies die politische Instabilität in Frankreich weiter verschärfen. Frankreich steht vor einer Zerreißprobe, und es bleibt abzuwarten, ob der Präsident – mit all seiner Macht – den richtigen Kurs einschlägt.
In Deutschland würde ein solcher politischer Alleingang kaum denkbar sein. Hier weiß man: Eine erfolgreiche Regierungsbildung erfordert Geduld, Kompromissbereitschaft und Respekt vor dem Wählerwillen – auch wenn es bedeutet, schwierige Koalitionen einzugehen. Diese Lektion hat Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt gelernt, und sie hat sich bewährt.
Vielleicht ist es an der Zeit, dass auch Frankreich einen Schritt in diese Richtung wagt. Die Zukunft wird zeigen, ob die Macht des Präsidenten ausreicht, um das Land zu einen – oder ob sie es weiter spaltet. Ist es an der Zeit für eine politische Kultur, die weniger auf Macht und mehr auf Zusammenarbeit setzt?
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