Tag & Nacht

Am heutigen Samstag formiert sich in ganz Frankreich eine große Welle des Protests – und das nicht ohne Grund. Die Linke ist auf den Barrikaden, unterstützt von Studierendenverbänden und weiteren Organisationen. Der Funke, der diese politischen Proteste entzündet hat, ist die Ernennung von Michel Barnier zum neuen Premierminister durch Präsident Emmanuel Macron. Es geht nicht nur um eine politische Entscheidung, sondern um den Vorwurf eines „Coup de force“, eines „Staatsstreichs“ gegen die demokratischen Prozesse. Was steckt dahinter?

Lucie Castets und der „Coup de force“

Alles begann mit der Ablehnung von Lucie Castets als Premierministerin. Castets, Kandidatin des Neuen Volksfronts (Nouveau Front Populaire, NFP), galt als Hoffnungsträgerin der linken Kräfte. Ihr Name stand für ein neues politisches Kapitel in Frankreich, doch Macron entschied sich dagegen und wählte stattdessen Michel Barnier als Premierminister – einen Konservativen aus dem Lager der Republikaner. Für viele auf der linken Seite des politischen Spektrums war dies ein Affront, ein Schritt, der sich nicht nur gegen ihre Kandidatin richtete, sondern auch das Prinzip des politischen Ausgleichs untergrub. Kein Wunder, dass die Wut hochkocht.

Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: La France Insoumise (LFI) und mehrere Studierendenorganisationen riefen nach der Ernennung Barniers sofort zu landesweiten Protesten auf. An diesem Samstag sollen mehr als 150 Demonstrationen in ganz Frankreich stattfinden – die größte natürlich in Paris. Doch was bedeutet das für Macron und sein politisches Überleben?

Michel Barnier: Der Mann im Sturm

Mit Michel Barnier hat Macron einen erfahrenen Politiker an die Spitze der Regierung gestellt – einen, der sich als verhandlungssicher und pragmatisch gibt. Barnier bringt die Erfahrung einer langen politischen Karriere mit, unter anderem als ehemaliger Brexit-Chefunterhändler der EU, und stellt sich als Mann der Mitte dar. Sein Versprechen: Ein offenes Ohr auch für linke Kräfte und die Bereitschaft, die Regierung für sie zu öffnen. Ob das allerdings reichen wird, um die aufgebrachte Opposition zu beruhigen, ist mehr als fraglich.

Barnier hat bereits klare Prioritäten gesetzt: Migration soll strenger kontrolliert werden, die Staatsverschuldung darf nicht weiter steigen, und die Arbeit müsse wieder aufgewertet werden. Diese Punkte sprechen vor allem konservative Wähler an, doch wo bleibt die Brücke zur linken Seite? Viele sehen ihn als bloßen Erfüllungsgehilfen von Macron – ein Mann, der das Land weiter nach rechts drückt. Für Jean-Luc Mélenchon, den Chef der Linkspartei La France Insoumise (LFI), ist die Sache klar: Die Wahl sei „gestohlen“, und Barnier sei der Beweis dafür.

Die Rolle der politischen Rivalen

In diesem brodelnden politischen Umfeld ist auch der ehemalige Premierminister Édouard Philippe in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Während Gerüchte kursierten, dass er hinter den Kulissen daran arbeite, Macron zu destabilisieren, hat Philippe vehement abgestritten, eine solche Agenda zu verfolgen. Stattdessen äußerte er klar, dass er Macron respektiere und wünsche, dass der Präsident seine Amtszeit vollständig absolviere. Doch die Frage bleibt: Könnte er sich, wenn die politische Lage weiter eskaliert, doch entsprechend positionieren und eine eigene Präsidentschaftskampagne ins Rollen bringen?

Auch dem rechte Rand des politischen Spektrums hat das Rassemblement National (RN) in dieser Situation seine eigene Rolle gefunden. Die Partei hat in den letzten Monaten stark an Einfluss gewonnen und sieht sich in einer Position, in der sie den politischen Kurs Frankreichs maßgeblich beeinflussen kann. Für viele ist der RN die „Schicksalspartei“ – sie kann den Ausschlag geben, wohin sich Frankreich in den nächsten Jahren entwickeln wird. Werden sie sich mit Barnier arrangieren oder die Spannungen weiter schüren?

Die Zahlen sprechen Bände

Ursprünglich wurde mit einer relativ kleinen Mobilisierung gerechnet: 15.000 Menschen landesweit, davon etwa 2.000 in Paris. Doch mittlerweile haben sich die Schätzungen verdoppelt. Man rechnet nun mit bis zu 30.000 Demonstranten im ganzen Land – allein in der Hauptstadt könnten zwischen 4.000 und 8.000 Menschen auf die Straßen gehen. Die Proteste scheinen also an Fahrt zu gewinnen.

Der tiefe Graben zwischen den Lagern

Die politische Landschaft Frankreichs war schon lange gespalten, doch die aktuellen Ereignisse vertiefen diesen Graben weiter. Während Macron und Barnier versuchen, Stabilität zu gewährleisten, sehen viele in der Opposition – besonders auf der linken Seite – diese Entscheidungen als Provokation. Sie fühlen sich ignoriert und ausgeschlossen.

Doch was könnte das Ende dieses politischen Tauziehens sein? Eine Einigung scheint weit entfernt. Die Linke fordert einen radikalen Kurswechsel, während die Regierung ihre konservative Linie nicht aufgeben will. Gleichzeitig versucht die extreme Rechte, Kapital aus der Situation zu schlagen. Der Boden ist bereitet für eine hitzige politische Schlacht – und das in einem Land, das traditionell nicht vor Massenprotesten zurückschreckt.

Und jetzt?

Es bleibt spannend, wie sich die Situation weiterentwickelt. Wird Barnier tatsächlich die versprochene Öffnung Richtung Links bei der Aufstellung seines Kabinetts vornehmen? Oder bleibt es bei einer Regierung, die sich auf konservative Kräfte stützt? Werden die Proteste den Druck auf Macron so weit erhöhen, dass er Zugeständnisse machen muss?

Eines steht fest: Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, wie robust Macrons Präsidentschaft wirklich ist. Ob er in der Lage ist, den Spagat zwischen den politischen Lagern zu meistern, bleibt fraglich – und Frankreichs Straßen werden dabei eine entscheidende Rolle spielen.


Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!