Tag & Nacht

Die französische Nationalversammlung debattiert über eine Verschärfung des Jugendstrafrechts – initiiert von Ex-Premierminister Gabriel Attal. Seine Begründung: „Ein Jugendlicher von 2025 ist nicht mehr derselbe wie 1945.“ Doch was steckt hinter dieser Aussage? Sind junge Menschen tatsächlich gefährlicher als damals?

Jugendkriminalität im Wandel der Zeit

Statistiken zeigen: Die Zahl der verurteilten Jugendlichen hat sich seit 1945 verdoppelt. 1945 wurden 17.578 Minderjährige vor Gericht gestellt, 2023 waren es 48.389. Doch da die französische Bevölkerung seither stark gewachsen ist, muss man die Zahlen ins Verhältnis setzen.

Berücksichtigt man die demografische Entwicklung, ergibt sich: 1945 kamen 15 jugendliche Straftäter auf 10.000 junge Menschen – 2023 waren es 32. Damit hat sich die Anzahl der strafrechtlich verfolgten Jugendlichen verdoppelt.

Gewalt gegen Personen hat zugenommen

Doch was ist mit der Art der Straftaten? 1952 richteten sich nur 12 % der jugendlichen Delikte gegen Personen, während es 2023 bereits 30 % waren. Die Gewalt gegen Menschen hat sich also fast verdreifacht.

Das lässt darauf schließen, dass Jugendliche heute nicht nur häufiger mit dem Gesetz in Konflikt geraten, sondern auch gewalttätiger sind als früher. Doch ist das wirklich so einfach?

Härtere Justiz, strengere Strafen

Ein entscheidender Punkt: Auch die Justiz ist heute deutlich strenger als früher. 1952 wurden nur 10 % der jugendlichen Straftäter zu Gefängnis- oder Geldstrafen verurteilt – 2023 lag diese Zahl bei fast 30 %.

Die französische Jugendstrafrechtsprechung basierte ursprünglich auf einem pädagogischen Ansatz. 1945 galt die Überzeugung, dass straffällig gewordene Jugendliche eher Opfer ihrer Umwelt als Täter seien – sie sollten geschützt, erzogen und wieder in die Gesellschaft integriert werden. Eine echte strafrechtliche Verantwortung für Minderjährige gab es kaum.

Doch dieses Prinzip wurde über Jahrzehnte zunehmend ausgehöhlt. Neue Delikte wurden geschaffen, die Strafen verschärft – bis schließlich die Ausnahme zur Regel wurde. 2013 gab es in Frankreich erstmals mehr strafrechtliche Verurteilungen von Jugendlichen als erzieherische Maßnahmen.

Ist die Vergangenheit ein fairer Maßstab?

Die Zahlen deuten also darauf hin, dass Jugendkriminalität – insbesondere Gewalt gegen Personen – heute weiter verbreitet ist als 1945. Doch der historische Vergleich hat seine Tücken.

1945 war Frankreich gerade aus dem Krieg gekommen. Die Justiz war desorganisiert, es gab kaum Polizeikapazitäten für jugendliche Straftäter. Viele junge Delinquenten wurden nie registriert – oder mit einer Verwarnung nach Hause geschickt.

Hinzu kommt: Gesellschaftliche Normen haben sich verändert. Gewalt, die früher nicht angezeigt wurde, wird heute strafrechtlich verfolgt. Mehr Anzeigen bedeuten nicht zwangsläufig mehr Gewalt – sondern vielleicht auch eine sensibilisiertere Gesellschaft.

Fazit: Strengere Justiz oder gewalttätigere Jugend?

Sind Jugendliche heute also wirklich gefährlicher als 1945? Die Statistiken deuten darauf hin – aber sie erzählen nicht die ganze Wahrheit. Gewalt von Minderjährigen wird heute stärker erfasst, die Justiz greift härter durch, und die Gesellschaft reagiert empfindlicher auf jugendliche Delinquenz.

Was ist also die richtige Antwort? Vielleicht nicht Schwarz oder Weiß – sondern eine Frage der Perspektive.

Von Catherine H.

Neues E-Book bei Nachrichten.fr




Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!