Tag & Nacht

Ein neues Drama im Ärmelkanal erschüttert Europa: In der Nacht von Freitag auf Samstag, dem 5. Oktober, sind erneut mehrere Migranten bei dem Versuch, die englischen Küsten zu erreichen, ums Leben gekommen. Die Region Pas-de-Calais vermeldete, dass mindestens vier Menschen starben, darunter ein zweijähriges Kind. Der traurige Rekord von 2024 setzt sich fort – nie zuvor sind so viele Menschen bei der gefährlichen Überfahrt gestorben wie in diesem Jahr.

Das Unglück in der Nacht reiht sich in eine erschreckende Serie von Todesfällen ein, die seit Beginn des Jahres den Ärmelkanal als tödliche Route entlarven. Laut Jacques Billant, dem Präfekten von Pas-de-Calais, wurde das Kind leblos in einem der Boote entdeckt, während drei erwachsene Migranten in einem weiteren überfüllten Boot starben. Diese Todesfälle erhöhen die Zahl der Menschen, die 2024 bei der Überquerung in den unsicheren Booten ums Leben kamen, auf 51.

Der Schock über das tragische Schicksal des Kindes ist groß. Laut ersten Untersuchungen wurde das zweijährige Kind „zerdrückt“ in dem überladenen Schlauchboot – ein grausames Symbol für die Risiken, denen Migranten auf diesen gefährlichen Fahrten ausgesetzt sind.

„Ein abscheuliches Drama“

Frankreichs neuer Innenminister Bruno Retailleau äußerte sich bestürzt über das Ereignis und machte die skrupellosen Menschenhändler, die diese gefährlichen Überfahrten organisieren, verantwortlich. Auf der Plattform X (ehemals Twitter) schrieb er: „Die Schlepper haben das Blut dieser Menschen an den Händen. Unser Staat wird die Bekämpfung dieser Mafias, die mit diesen Überfahrten den Tod bringen, verstärken.“

Dabei war dies nicht der einzige dramatische Vorfall dieses Wochenendes. Am Samstagmorgen forderte eine überladene Migrantenboot-Mannschaft Hilfe von dem Rettungsschlepper Abeille Normandie. 14 Menschen wurden von dem Schiff in Sicherheit gebracht und im Hafen von Le Portel abgesetzt. Doch auch dieses Boot war von der Überladung und den Gefahren der Reise gezeichnet. Glücklicherweise kam es in diesem Fall zu keinem Schiffbruch – das Kind, das in dem Boot starb, wurde leblos an Bord gefunden, nicht im Wasser.

Eine immer tödlichere Route

Seit Jahresbeginn haben mehr als 25.000 Migranten versucht, die gefährliche Überfahrt über den Ärmelkanal auf unsicheren Schlauchbooten zu wagen. Die britischen Behörden sprechen von einem Anstieg der Überfahrten um 4 % im Vergleich zum Vorjahr. Die Zahl der Menschen, die in diesen oft überfüllten und kaum seetauglichen Booten sterben, ist beunruhigend hoch – 2024 verzeichnet bereits mehr Tote als jedes andere Jahr seit Beginn des Phänomens im Jahr 2018.

Das Jahr 2024 markiert ein dunkles Kapitel: Vor den Ereignissen dieses Wochenendes lag die Zahl der Todesopfer bei mindestens 46 Menschen, die meisten von ihnen in Booten, die den gefährlichen Weg über die See wagten. Die Zahl ist deutlich höher als die 12 Toten, die im gesamten Jahr 2023 bei solchen Überfahrten zu beklagen waren. Besonders erschütternd ist der Vorfall vom 14. bis 15. September, bei dem acht Migranten starben, als ihr Boot mit rund 60 Menschen an Bord unterging.

Ein weiterer tragischer Höhepunkt dieses Jahres ereignete sich am 3. September, als zwölf Menschen bei einem Bootsunglück nahe dem Cap Gris-Nez ihr Leben verloren – das bislang tödlichste Unglück des Jahres 2024.

Überladene Boote und steigende Risiken

Eine der Hauptursachen für die Zunahme der Todesfälle sind die immer stärker überladenen Boote. Während 2020 durchschnittlich 13 Menschen in einem Schlauchboot saßen, sind es heute oft bis zu 52. Diese Boote sind nicht dafür ausgelegt, so viele Menschen zu transportieren, und viele Migranten kommen unter den schrecklichen Bedingungen der Überfahrt ums Leben – zerquetscht oder erdrückt, wie der Fall der 21-jährigen Kuweitin Dina Al Shammari zeigt, die im Juli 2024 auf ähnliche Weise starb.

Das Risiko ist hoch, und die politischen Antworten darauf sind vielfältig – aber oftmals unzureichend. Während der im Juli gewählte britische Premierminister Keir Starmer versprochen hat, die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen und härter gegen illegale Einwanderung vorzugehen, bleibt die Frage, wie diese gefährlichen Überfahrten langfristig verhindert werden können. Die Schlepperbanden agieren skrupellos und profitieren von der verzweifelten Lage der Migranten, die keine andere Wahl sehen, als sich in Lebensgefahr zu begeben, um einen Neuanfang in Großbritannien zu wagen.

Wer sind die Migranten?

Die Menschen, die diese gefährliche Reise antreten, kommen aus den unterschiedlichsten Ländern und Kulturen. Laut britischen Behörden waren zwischen Juni 2023 und Juni 2024 rund 18 % der Bootsankömmlinge in Großbritannien aus Afghanistan, 13 % aus dem Iran und 10 % aus Vietnam. Der Anteil der afghanischen Flüchtlinge ist in letzter Zeit zwar gesunken, doch die Zahl der Menschen aus anderen Krisenregionen bleibt konstant hoch.

Ein Appell an die Menschlichkeit

Die Tragödie vom 5. Oktober ist ein weiteres Mahnmal für die Risiken, denen Migranten ausgesetzt sind, und für die immense Verantwortung, die Staaten wie Frankreich und Großbritannien tragen. Die tödlichen Überfahrten sind keine abstrakte Krise – sie kosten Menschenleben, und zwar tagtäglich. Während die politische Debatte um die richtigen Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Migration weitergeht, bleiben die Schicksale dieser Menschen real und tragisch.

Wie können wir diese Tragödien beenden? Die Antwort auf diese Frage ist komplex und erfordert sowohl humanitäre Lösungen als auch entschlossene Maßnahmen gegen Schlepperbanden. Doch eines ist sicher: Jeder weitere Todesfall im Ärmelkanal sollte uns daran erinnern, dass es hier nicht nur um Zahlen und Statistiken geht, sondern um Menschen – Mütter, Väter, Kinder – die eine bessere Zukunft suchen und stattdessen den Tod finden.


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