Tag & Nacht

Die französischen Präsidentschaftswahlen werden im Ausland sehr genau beobachtet. 

Frankreich ist eine Atommacht und eines von fünf Ländern mit einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, das Land ist ein wichtiger Akteur auf der internationalen Bühne. Es ist daher nur logisch, dass die Präsidentschaftswahlen vom Ausland genauestens verfolgt werden.

Die Staats- und Regierungschefs, die mit Emmanuel Macron in den letzten fünf Jahren zusammengearbeitet haben, machen sich zum Teil Sorgen, wer ab kommenden Montag ihr Gesprächspartner sein wird. Um so mehr, da Frankreich bis zum 1. Juli den Vorsitz im Rat der Europäischen Union innehat. Wird es weiterhin Emmanuel Macron sein, oder Marine Le Pen, die rechtsextreme Kandidatin, die eine diplomatische 180°-Wende vollziehen will, die die Bündnisse und die Funktionsweise der Europäischen Union überdenken und die deutsch-französische Zusammenarbeit aufkündigen will. Marine Le Pen plant, die deutsch-französische Zusammenarbeit insbesondere in den Bereichen Rüstung und Verteidigung zu stoppen.

In Deutschland, wo eine strikte Regel der Nichtzusammenarbeit mit der rechtsextremen AfD gilt, ist man erstaunt über die in Frankreich sichtbare „Entdämonisierung“ und Banalisierung des rechtsextremen Rassemblement National auf der politischen und medialen Bühne. Aber man ist auch besorgt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt: „In der zweiten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen geht es um das Überleben der EU“. In Deutschland versteht man, dass Bundeskanzler Olaf Scholz angesichts der Besorgnis die übliche Zurückhaltung gebrochen hat, um gemeinsam mit seinen Amtskollegen Pedro Sanchez aus Spanien und Antonio Costa aus Portugal in einem Artikel in der französischen Presse öffentlich Stellung zu beziehen.

„Wenn der Aufruf der führenden europäischen Sozialdemokraten auch nur einige der linken Wähler, die von Macrons Liberalismus genervt sind, dazu bewegen könnte, zur Wahl zu gehen, hätte sich dieser Tabubruch schon gelohnt“, meint die Frankfurter Allgemeine Zeitung. „Alle Augen sind derzeit auf die äußeren Bedrohungen gerichtet. Doch eine Gefahr wird vergessen: die Gefahr, die von befreundeten und verbündeten Ländern ausgeht, und das, obwohl der Zusammenhalt der Europäischen Union, der Nato und des Westens unerlässlicher denn je ist“, schrieb Die Zeit kürzlich besorgt.

„Wenn Paris niest, erkältet sich Europa“, warnt die die zweitgrößte spanische Tageszeitung El Mundo, während die österreichische Tageszeitung Falter meint: „Während eine Wahl von Le Pen angesichts der Umfragen unwahrscheinlich ist, erinnern wir uns daran, dass man es für undenkbar gehalten hatte, dass Donald Trump ins Weiße Haus einziehen könnte. Das heutige Frankreich ist genauso unberechenbar geworden wie die Vereinigten Staaten…“.

Die britische Presse war Ende letzten Jahres von Eric Zemmours Mediendurchbruch fasziniert, doch das Interesse an den Präsidentschaftswahlen wurde erst mit den Ergebnissen der ersten Runde und dem starken Ergebnis von Marine Le Pen richtig spürbar. Ihr Sieg würde jenseits des Ärmelkanals als politisches „Erdbeben“ interpretiert werden, ähnlich wie die Wahl von Donald Trump in den USA. Ihr Vorschlag, das Kopftuch im öffentlichen Raum zu verbieten, schockiert die Briten, die grosse Toleranz gegenüber religiösen Zeichen an den Tag legen.
37% der Briten würden einen Sieg des amtierenden Präsidenten bevorzugen, und nur 19% bevorzugen einen soieg von Marine Le Pen.

Die seriöse New York Times titelte vor zwei Tagen: „Die Vereinigten Staaten bereiten sich auf eine Schockwelle bei den französischen Wahlen vor“ und unterstrich die Angst des Weißen Hauses vor dem Risiko eines Sieges von Marine Le Pen, die als „populistische Agitatorin im Stil von Donald Trump“ bezeichnet wird, und vor den „Rissen“, die Europa auf demokratischer Ebene bekommen würde, wenn Le Pen gewinnen würde. Präsident Joe Biden befürchtet, mit Emmanuel Macron einen wichtigen Verbündeten zu verlieren, insbesondere seit der Bildung einer Koalition gegen die russische Invasion und den Krieg in der Ukraine.

Die portugiesische Zeitung Público titelt „Frankreich wird wählen: für die extreme Rechte oder für Europa“. Die portugiesische Presse zeigt grosses Interesse an den französischen Präsidentschaftswahlen. Die Zeitung Observador widmete den Wahlen in ihrem Europateil sogar eine ganze Rubrik mit Artikeln und Podcasts.
„Frankreich ist eine der wichtigsten Säulen der Europäischen Union. Das Wachstum des europäischen Projekts, sowohl in wirtschaftlicher als auch in sozialer Hinsicht, hängt von der französischen Dynamik ab. Die französische Realität zu verfolgen ist von entscheidender Bedeutung. Wenn die Situation in Frankreich mehr als 67 Millionen Franzosen betrifft, beeinflusst sie zweifellos das Leben von mehr als 380 Millionen Europäern“, wird Carlos Manuel Castro, Stadtrat in Lissabon, von der französischen Zeitung La Dépêche zitiert.

Auch die Spanier blicken nach Frankreich auf Präsidentschaftswahlen. Die grosse TV-Debatte vom Mittwoch wurde in voller Länge auf dem öffentlichen spanischen Nachrichtenkanal ausgestrahlt. Marta Núñez, politische Journalistin bei Cuatro, erklärt: „Frankreich ist ein Spiegel für uns. Wir schauen uns Frankreich an, um die politischen Trends zu erkennen, die in einigen Jahren auch hier auftreten können“. El País bezeichnete in seinem gestrigen Leitartikel die Wahl als „Europawahl“ und behauptete, dass „die Kandidatur von Le Pen die Europäische Union bedroht“. Selbst die konservative Tageszeitung ABC meint: „Frau Le Pen blickt in die Vergangenheit und appelliert an die Gefühle, nicht an die Vernunft“.

Aufgrund der Kolonialgeschichte und der geografischen Nähe ist Tunesien besonders an der entwicklung in Frankreich interessiert: Frankreich ist der größte ausländische Investor in Tunesien, während Tunesien im Gegenzug der größte afrikanische Investor in Frankreich ist. Außerdem leben fast 720.000 Tunesier in Frankreich, von denen mehr als zwei Drittel die doppelte Staatsbürgerschaft besitzen.

Mit dem Erstarken des rechtsextremen Rassemblement National fürchten die Doppelstaatler um ihre Rechte, und Tunesien insgesamt befürchtet eine noch strengere Visa-Politik.
Ein Teil der tunesischen Presse vergleicht die Niederlage der französischen Linken mit der der tunesischen Linken, da sie es nicht schaffen, sich zu einer starken Oppositionzusammen zu schliessen. Die in Tunesien lebenden Franzosen stimmten im ersten Wahlgang zu 46,06% für Emmanuel macron, 37,61% für Jean-Luc Mélenchon und nur 4,98% für Marine Le Pen.

Obwohl der französische Wahlkampf in Italien nicht für wirklich grosses Aufsehen sorgte, weckten die Ergebnisse des ersten Wahlgangs das Interesse der Italiener. In Rom kann man sich nur schwer vorstellen, dass eine Marine Le Pen und der derzeitige italienische Premierminister Mario Draghi, ein ehemaliger EZB-Chef und überzeugter Europäer, reibungslos zusammenarbeiten. Ein Sieg der rechtsextremen Kandidatin könnte Matteo Salvini und dem nationalistischen Lager in Italien neuen Auftrieb bescheren.


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