Tag & Nacht

Die Welt ist aus den Fugen geraten – so fühlt es sich zumindest für viele Menschen an. Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten werfen lange Schatten bis in unsere Wohnzimmer. Sie beeinflussen unsere Politik, unsere Wirtschaft und vor allem unser Lebensgefühl. Während in der Ukraine bereits seit über drei Jahren gekämpft wird und der Gaza-Krieg schlimme Verwüstungen und Zerstörungen gebracht hat, stellt sich eine zentrale Frage: Wie verändern diese Krisen unser Zusammenleben – in Deutschland, in Frankreich und darüber hinaus?

Verunsicherung als neues Grundgefühl

Es ist eine diffuse Unsicherheit, die sich in der Gesellschaft breitmacht. Noch nie seit dem Kalten Krieg war das Gefühl einer möglichen direkten Bedrohung so präsent. Plötzlich sind Themen, die lange als vergangene Kapitel der Geschichte galten, wieder auf der Tagesordnung:

  • Die Angst vor einem größeren Krieg in Europa
  • Die Debatte um Wehrpflicht und militärische Aufrüstung
  • Steigende Verteidigungsausgaben statt Sozialreformen
  • Sorgen um wirtschaftliche Stabilität und Energieversorgung

In Deutschland spürt man besonders stark die Verunsicherung über die eigene Rolle: Jahrzehntelang wurde Sicherheit vor allem durch Diplomatie und wirtschaftliche Stärke definiert. Nun sprach Bundeskanzler Olaf Scholz von einer „Zeitenwende“, in der Deutschland sich militärisch stärker aufstellen muss. Frankreich hingegen, mit einer traditionell eigenständigeren Sicherheitspolitik und einer atomaren Abschreckung, wirkt in der Reaktion gefasster – aber nicht minder betroffen.

Deutschland: Friedensgesellschaft in der Krise?

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war Deutschland ein Land, das sich mit Pazifismus identifizierte. Militärische Fragen spielten im gesellschaftlichen Diskurs eine Nebenrolle. Doch nun dreht sich alles um Verteidigungsetats, Waffenlieferungen und Bündnistreue in der NATO.

Die Regierung hat gigantische Summen für die Bundeswehr bereitgestellt – und es herrscht Unbehagen in der Bevölkerung. Die Vorstellung, dass Deutschland sich in einem Konfliktfall militärisch verteidigen müsste, ist für viele zutiefst ungewohnt. Besonders die ältere Generation, die die Schrecken des Krieges noch persönlich oder aus Erzählungen kennt, sieht die Entwicklung mit Sorge.

Gleichzeitig gibt es eine Spaltung: Während die einen nach mehr militärischer Stärke rufen, lehnen andere Waffenlieferungen an die Ukraine oder gar eine deutsche Beteiligung an Verteidigungsmaßnahmen strikt ab. Dies zeigt sich in Umfragen und Wahlergebnissen – nicht zuletzt in der wachsenden Unterstützung für Parteien, die sich gegen militärische Eskalation aussprechen.

Frankreich: Zwischen militärischer Tradition und gesellschaftlicher Spannung

Frankreich erlebt die Auswirkungen der aktuellen Konflikte auf eine andere Weise. Als Atommacht mit einer eigenständigen Verteidigungspolitik ist das Land traditionell kriegsbereiter als Deutschland. Präsident Emmanuel Macron ließ sogar verlauten, dass der Einsatz französischer Truppen in der Ukraine „nicht ausgeschlossen“ sei – eine Äußerung, die in Deutschland undenkbar wäre.

Doch auch in Frankreich wächst die Unsicherheit. Besonders die Situation im Nahen Osten hat direkte Auswirkungen. Frankreich hat eine große arabischstämmige und jüdische Bevölkerung – der Gaza-Krieg sorgt seit über einem Jahr für Spannungen in der Gesellschaft. Antisemitische und antimuslimische Vorfälle haben zugenommen, Proteste gegen die französische Nahost-Politik sorgen für Unruhe. Während Deutschland sich – oft mit Schuldgefühlen wegen der eigenen Geschichte – klar an der Seite Israels positioniert, ist die Lage in Frankreich komplizierter.

Hier zeigt sich ein wichtiger Unterschied: Während die Ukraine-Frage in Deutschland die Hauptrolle spielt, steht in Frankreich die Nahost-Frage stärker im Zentrum des gesellschaftlichen Diskurses.

Wie verändert sich unser Alltag?

Nicht nur Politik und Militär sind betroffen – auch unser Alltag verändert sich durch die Kriege:

  • Preise stiegen: Die Inflation war zwischenzeitlich sehr hoch, unter anderem wegen steigender Verteidigungsausgaben und Unsicherheiten auf den Rohstoffmärkten.
  • Sicherheitsvorkehrungen nehmen zu: In Großstädten gibt es vermehrt Polizeipräsenz, Flughäfen und Bahnhöfe stehen unter strenger Beobachtung.
  • Medienkonsum wandelt sich: Die täglichen Kriegsberichte führen zu einer Art „Kriegsmüdigkeit“. Viele Menschen schalten ab – nicht aus Desinteresse, sondern aus Selbstschutz.
  • Die Stimmung wird gereizter: In sozialen Netzwerken eskalieren Debatten schnell, politische Lager radikalisieren sich. Die Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft wächst.

Was bedeutet das für die Zukunft?

Könnte diese Unsicherheit zu einem dauerhaften Zustand werden? Ja – und nein. Einerseits haben die vergangenen Jahre gezeigt, dass Krisen sich oft verstetigen und nicht mehr nur Ausnahmen sind. Andererseits ist die europäische Gesellschaft erstaunlich anpassungsfähig. Nach der Pandemie hat sich das Leben verändert, aber es geht weiter. Wahrscheinlich wird es auch mit diesen geopolitischen Krisen so sein.

Trotz allem bleibt eine zentrale Frage: Wird Europa aus der Unsicherheit eine neue Stärke entwickeln – oder wird die Angst zur Selbstblockade?

Die kommenden Jahre werden zeigen, ob aus der gegenwärtigen Verunsicherung eine neue Entschlossenheit entsteht. Was sicher ist: Die Welt, wie wir sie über Jahrzehnte kannten, gibt es nicht mehr.

Von C. Hatty

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