Tag & Nacht




Der 19. April – ein Datum, das auf den ersten Blick unscheinbar wirkt, aber beim genaueren Hinsehen wie ein Brennglas der Geschichte funktioniert. Revolutionen, Aufstände, Tragödien – dieser Tag hat sie alle gesehen. Ob in Frankreich, den Vereinigten Staaten oder mitten in Europa – am 19. April zeigen sich Menschlichkeit, Mut, Wut und Wandel in seltener Dichte.


Frankreich: Zwischen republikanischem Erbe und moderner Bedrohung

Fangen wir mit der Gegenwart an. Am 19. April 2015 verhindert die französische Polizei in Villejuif, einem Vorort von Paris, einen geplanten Anschlag auf Kirchen. Der mutmaßliche Attentäter, ein junger Student mit radikal-islamistischem Hintergrund, wird nach einem unglücklichen Selbstunfall gefasst – im Kofferraum: Kalaschnikow, Munition und detaillierte Zielpläne. Der Vorfall lässt Frankreich erneut aufschrecken. Der Terror ist nicht nur importiert, er ist längst da – mitten unter uns. Was damals verhindert wurde, hätte ein noch dunkleres Kapitel in Frankreichs jüngster Geschichte aufgeschlagen.

Aber dieser Tag hat auch andere Kapitel geschrieben.

Springen wir zurück ins Jahr 1794: Während der Französischen Revolution spitzt sich die Lage dramatisch zu. Der Terreur – der Schrecken – greift um sich. Auch am 19. April werden erneut politische Gegner der Jakobiner verhaftet und zum Tode verurteilt. Die Revolution frisst ihre Kinder. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – sie hatten ihren Preis, und der war blutig.

Ein paar Jahrzehnte weiter, 1848, ist Frankreich wieder im Umbruch. Nach dem Sturz von König Louis-Philippe wird die Zweite Republik ausgerufen. Auch wenn der 19. April nicht das Schlüsselereignis dieses Jahres markiert, tobt zu dieser Zeit die Debatte über Frankreichs Zukunft – Monarchie oder Republik? Sozialreform oder Restauration? Es ist die große französische Frage des 19. Jahrhunderts.


Weltweit: Aufstände, Aufbrüche, Abgründe

Zwei Ereignisse, beide tief im kollektiven Gedächtnis verankert, teilen sich dieses Datum – obwohl sie in völlig verschiedenen Jahrhunderten und Kontexten stattfanden.

Am 19. April 1775 fielen in Lexington und Concord die ersten Schüsse des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs. Britische Soldaten treffen auf bewaffnete Kolonialmilizen – und plötzlich ist da kein Weg zurück mehr. Der Traum von Selbstverwaltung nimmt blutige Gestalt an. Aus kleinen Siedlungen wird bald eine Nation, aus Rebellion wird Revolution.

Genau 168 Jahre später – wieder ein 19. April, diesmal 1943 – beginnt im Warschauer Ghetto der größte Aufstand jüdischer Gefangener während des Zweiten Weltkriegs. Die deutsche Wehrmacht plant die endgültige Deportation der verbliebenen Juden. Doch statt stiller Unterwerfung formiert sich Widerstand. Die Kämpfe dauern mehrere Wochen, der Aufstand wird brutal niedergeschlagen. Aber: Der Mut dieser Menschen bleibt unauslöschlich – ein Akt der Selbstbehauptung in einem Meer aus Grauen.

Auch jüngere Geschichte kennt düstere Schatten am 19. April. 1993 geht die Belagerung von Waco, Texas, in Flammen auf. Nach 51 Tagen eskaliert die Situation um die Sekte der Branch Davidians – ein Feuer vernichtet das Gebäude, über 70 Menschen sterben, darunter Kinder. Die Bilder brennen sich ins kollektive Gedächtnis der USA ein.

Zwei Jahre später, am selben Tag, wird das Murrah Federal Building in Oklahoma City durch eine Bombe zerstört. Der Attentäter: Timothy McVeigh, der aus Hass auf die Regierung und als „Rache“ für Waco handelt. 168 Menschen sterben. Der 19. April wird zum Trauma – zum Symbol dafür, wie Ideologie in tödliche Gewalt kippen kann.


Hoffnung, Glauben – und eine Papstwahl

Ein Kontrastprogramm liefert das Jahr 2005. Am 19. April wird der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger im Vatikan zum Papst gewählt – unter dem Namen Benedikt XVI. Es ist das erste Mal seit Jahrhunderten, dass ein Deutscher das höchste Amt der katholischen Kirche übernimmt. Für viele Gläubige ein Moment des Stolzes – für andere ein Anlass zur kritischen Auseinandersetzung mit der konservativen Ausrichtung des neuen Pontifex.


Geboren am 19. April: Ein bunter Reigen

Ein Tag voller Umbrüche bringt auch Menschen hervor, die selbst Umbruch gestalten.

Am 19. April 1903 wird Eliot Ness geboren – der legendäre US-Ermittler, der Al Capone das Leben schwer machte. Ein Mann zwischen Gesetz und Mythos, zwischen Realität und Hollywood.

Ebenfalls am 19. April, allerdings 1928, erblickt Alexis Korner das Licht der Welt. Der „Vater des britischen Blues“ beeinflusste eine ganze Generation – von den Rolling Stones bis Eric Clapton.

Und Frankreich? Gedenkt an diesem Tag des Historikers Lucien Febvre, der zwar nicht an einem 19. April geboren wurde, aber in diesen Tagen als einer der Mitbegründer der „Annales-Schule“ gefeiert wird – einer der einflussreichsten historiographischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts.


Ein Tag, viele Gesichter

Der 19. April – das ist der Schuss für die Freiheit in Amerika, der Feuersturm in Waco, der Aufschrei im Warschauer Ghetto. Es ist der Tag, an dem ein Papst gewählt und ein Attentat vereitelt wird, an dem Ideale geboren und manchmal zerstört werden.

Was also sagt uns dieser Tag?

Dass Geschichte kein ferner, staubiger Begriff ist. Sie lebt – in jedem Aufstand, jedem Widerstand, jeder Entscheidung. Und oft auch in der Stille danach.

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