Tag & Nacht




Manche Tage schreiben mehr als nur Geschichte – sie brennen sich ein in das kollektive Gedächtnis. Der 27. Mai ist so ein Tag. Revolutionen, technologische Durchbrüche, politische Beben und persönliche Schicksale: Dieses Datum hat über Jahrhunderte hinweg Spuren hinterlassen, nicht nur weltweit, sondern besonders auch in Frankreich.

Wer sich mit dem 27. Mai beschäftigt, taucht in ein buntes Mosaik ein – mal tragisch, mal hoffnungsvoll, mal visionär.

1525: Der letzte Akt des Bauernkriegs

Ein düsteres Kapitel: Am 27. Mai 1525 wurde der Theologe und Revolutionär Thomas Müntzer in Mühlhausen hingerichtet. Er war eine Schlüsselfigur des Deutschen Bauernkriegs, ein radikaler Streiter gegen die Ungerechtigkeit von Klerus und Adel. Mit seinem Tod endete nicht nur ein Leben, sondern auch die Illusion, dass die Kirche sich so einfach von innen heraus reformieren ließe.

Heute gilt Müntzer als Symbol für soziale Gerechtigkeit – zumindest im ideellen Sinn. Seine Idee, Glaube und Gesellschaft zu verändern, wirkt bis in moderne Diskussionen über Macht und Moral nach. Wer hätte gedacht, dass ein Geistlicher im 16. Jahrhundert irgendwann in linken Parteiprogrammen auftauchen würde?

1703: Der Zar zieht an die Ostsee

Am 27. Mai gründete Zar Peter der Große die Stadt Sankt Petersburg – ein Monument seiner westlich orientierten Vision für Russland. Die sumpfige Landschaft an der Newa wurde binnen weniger Jahre in eine prachtvolle Hauptstadt verwandelt, mit Blick Richtung Europa. Der Zar ließ nichts unversucht, um sein Reich zu modernisieren – selbst Bartträger wurden zur Rasur gezwungen.

Diese Gründung veränderte die geopolitische Landkarte. Sankt Petersburg entwickelte sich zur kulturellen Hochburg des Zarenreichs und war über Jahrhunderte hinweg Zentrum imperialer Macht. Und auch heute ist die Stadt ein kulturelles Schwergewicht – trotz aller politischen Spannungen.

1941: Der Untergang der „Bismarck“

Der 27. Mai 1941 markierte das Ende eines schwimmenden Kolosses. Das deutsche Schlachtschiff „Bismarck“, Symbol der militärischen Stärke des Dritten Reichs, wurde im Nordatlantik versenkt. Wenige Tage zuvor hatte es die britische „Hood“ zerstört – ein Akt, der die britische Marine in Rage versetzte.

Der Untergang der „Bismarck“ steht bis heute für die Sinnlosigkeit kriegerischer Gigantomanie. Modernste Technik nützt wenig, wenn man sich überschätzt – eine Lehre, die sich Politiker und Militärstrategen bis heute hinter die Ohren schreiben sollten.

1968: Frankreich brennt – politisch

Frankreich stand am 27. Mai 1968 am Rand des politischen Kollapses. Arbeiter und Studierende hatten das ganze Land lahmgelegt, Streiks und Proteste erschütterten das System. Genau an diesem Tag kam es zum „Gipfel von Grenelle“ – Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgeber verhandelten fieberhaft über soziale Reformen.

Obwohl viele Forderungen nicht erfüllt wurden, war dieser Tag ein Wendepunkt: Frankreich wachte auf, politisierte sich neu, rüttelte an überkommenen Strukturen. Und das Echo der „68er“ ist noch heute spürbar – in Bildung, Arbeitsrecht, Feminismus und Umweltbewegung. Fragen wir uns nicht manchmal selbst: Wo ist unser Protest geblieben?

1999: Milošević vor Gericht

Am 27. Mai 1999 wurde Slobodan Milošević vom Internationalen Strafgerichtshof angeklagt – wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde ein amtierender Präsident für Völkermord und Kriegsverbrechen juristisch verfolgt. Ein Novum, das das internationale Recht veränderte.

Die Botschaft war klar: Auch Mächtige sind nicht unantastbar. In einer Welt, in der Autokraten wieder Aufwind haben, ist diese Erinnerung alles andere als verstaubt.

2019: Kanzler Kurz – kurzzeitig entmachtet

Ein politisches Erdbeben erschütterte Österreich am 27. Mai 2019: Sebastian Kurz verlor nach dem Ibiza-Skandal ein Misstrauensvotum im Parlament. Zum ersten Mal seit Bestehen der Republik wurde ein Kanzler auf diesem Weg entlassen.

So rasant wie der Aufstieg war auch der Fall – zumindest vorübergehend. Der Vorgang zeigte, wie schnell sich das politische Klima drehen kann, wenn Transparenz und Vertrauen verloren gehen. Und er erinnerte daran, dass politische Macht nicht in Stein gemeißelt ist – sondern auf Vertrauen gebaut.

Geburtstage mit Geschichte

Auch der 27. Mai hat ein paar Geburtstagskinder, die sich sehen lassen können:

  • Henry Kissinger, geboren 1923. Außenpolitischer Stratege der USA, Friedensnobelpreisträger und bis heute eine der umstrittensten Figuren des 20. Jahrhunderts. Diplomatie auf Messers Schneide.
  • Christopher Lee, geboren 1922. Schauspiellegende, Dracula-Darsteller und später Saruman im Herrn der Ringe – mit seiner Stimme hätte er wahrscheinlich auch ein Telefonbuch fesselnd vorgelesen.
  • Jamie Oliver, geboren 1975. Der „Naked Chef“ hat mit lässiger Art und britischem Charme die Kochwelt revolutioniert – und nebenbei gegen ungesunde Schulkantinen gekämpft.

Ein Tag wie ein Puzzle

Der 27. Mai ist ein Datum, das quer durch die Geschichte mäandert – von Tragödien bis zu Triumphzügen, von Europa bis Amerika, vom Schlachtfeld bis zur Küche. Es zeigt, wie vielschichtig Geschichte ist – und wie stark ihr Schatten bis in unsere Zeit reicht.

Wer also denkt, der 27. Mai sei bloß ein weiterer Tag im Kalender, irrt gewaltig. Er ist ein Spiegel vergangener Entscheidungen, eine Bühne für Visionäre und ein Mahnmal für Versäumnisse.

Denn Geschichte ist nichts anderes als der Moment, in dem Zukunft zur Vergangenheit wird.

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