Der Wochenendverkehr am langen Wochenende vom 8. bis 11. Mai wird rollen – zumindest laut SNCF-Chef Jean-Pierre Farandou. Trotz eines Streikaufrufs von mehreren Bahngewerkschaften gibt sich die französische Staatsbahn gelassen: „90 % der Züge werden fahren“, so die beruhigende Botschaft vom 6. Mai. Klingt fast zu schön, um wahr zu sein, oder?
Die Streikankündigung – punktuell, aber mit Signalwirkung
Auslöser des Streiks sind vor allem die Lokführer und Kontrolleure – sie fordern bessere Arbeitsbedingungen, zuverlässigere Dienstpläne und eine Gehaltserhöhung. Klingt vertraut? Genau – ähnliche Forderungen gab es bereits mehrfach in den letzten Jahren. Neu ist lediglich der Zeitpunkt: Der Brückentag um den 8. Mai sorgt für besonders hohe Erwartungen bei Reisenden – und entsprechend großen Druck auf die Bahn.
Dennoch betont die SNCF: Bis 8. Mai sollen TGVs und Ouigo-Züge weitgehend planmäßig fahren. Für das Wochenende vom 9. bis 11. Mai ist sogar eine Quote von neun von zehn Zügen insgesamt angekündigt.
Kulanz statt Chaos
Um die Nerven der Reisenden zu schonen, hat die SNCF eine Reihe von Entlastungsmaßnahmen eingeführt. Wer zwischen dem 5. und 11. Mai ein Ticket für Inoui oder Ouigo gekauft hat, kann es kostenlos stornieren oder umbuchen – kein lästiger Papierkram, kein Theater am Schalter.
Fällt ein Zug ganz aus, gibt’s nicht nur den Ticketpreis zurück, sondern obendrauf einen 50-Prozent-Rabattgutschein für eine künftige TGV-Fahrt – ein klassischer „Zuckerbrot-und-Bahnsteig“-Ansatz, um den Frust zu dämpfen. Der Gutschein gilt übrigens bis zum 29. August – clever kalkuliert in Richtung Sommerferien.
Die Regionalzüge – der Schwachpunkt im System
Während die Fernverbindungen also relativ stabil bleiben, sieht es auf den Regional- und Vorortstrecken ganz anders aus. In der Region Île-de-France etwa fahren auf dem RER B Richtung Norden nur 50 % der Züge, Richtung Süden immerhin zwei Drittel. Auch der RER C ist betroffen, ebenso wie die Transilien-Linien N, U und V.
In den weiteren Regionen ist die Lage noch schwieriger: In Hauts-de-France und Nouvelle-Aquitaine fährt nur jeder dritte TER – da ist Geduld gefragt.
„Unverständlich“ – sagt die Führung
Farandou, der Vorstandschef der SNCF, findet die Streikankündigung schlicht „unverständlich“. Aus seiner Sicht gibt es kaum noch Spielraum für Gehaltsforderungen: Seit 2021 seien die Löhne bei der SNCF um fast 20 % gestiegen – die Inflation liege dagegen bei 14,5 %. Außerdem wachse der Personalbestand – allein die Zahl der Kontrolleure habe sich um 11 % erhöht.
Farandou setzt auf Dialog und kündigt Gespräche mit Gewerkschaftsvertretern für Anfang Juni an. Die Fronten scheinen zwar verhärtet, aber noch nicht unüberwindbar.
Das große Ganze
Die gute Nachricht: Der TGV rollt. Wer also über das lange Wochenende quer durch Frankreich reisen möchte, sollte sich nicht gleich im Chaos wiederfinden. Ein kurzer Check per SMS oder E-Mail gibt schnell Auskunft, ob der eigene Zug fährt – und wenn nicht, gibt’s immerhin Ersatzangebote am selben Tag, ohne Aufpreis.
Die schlechte Nachricht: Wer auf dem Land lebt oder im Pariser Umland pendelt, muss flexibel bleiben. Hier zeigt sich einmal mehr, wie empfindlich Unruhe im System stören kann – gerade dort, wo es auf tägliche Verlässlichkeit ankommt.
Und jetzt?
Bleibt die Frage: Handelt es sich um einen gut kalkulierten Warnschuss der Gewerkschaften – oder ist das erst der Anfang einer neuen Welle von Arbeitskämpfen? Der französische Bahnkonzern versucht, das Bild stabil zu halten. Doch langfristig wird er sich den strukturellen Forderungen seiner Belegschaft nicht entziehen können. Und die Fahrgäste? Die wünschen sich vor allem eines – weniger Schlagzeilen, mehr Zuverlässigkeit.
Von Catherine H.
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