Tag & Nacht




Es gibt Dinge, die sind einfach heilig. Und nein, ich meine damit nicht nur Kirchen oder Kathedralen – ich meine diesen einen Tag im Jahr, an dem das Arbeiten Pause hat. Den 1. Mai. Den Tag der Arbeit, an dem die Maschinen schweigen und die Straßen den Menschen gehören. Ein Tag, der nicht einfach so da ist, sondern hart erkämpft wurde – von Generationen, die für faire Arbeitszeiten und bessere Bedingungen aufgestanden sind. Und jetzt? Jetzt soll dieser Tag scheibchenweise geopfert werden. Für ein Baguette. Für einen Blumenstrauß. Ernsthaft?

Ich liebe das frische Brot vom Bäcker – und meine Mutter freut sich über einen bunten Strauß zum Feiertag. Aber um welchen Preis? Der Vorschlag, Bäckereien und Blumenläden am 1. Mai öffnen zu lassen, ist kein Akt der Fürsorge für den Alltag der Menschen. Es ist ein stiller Angriff auf das, was der 1. Mai bedeutet: Ein Tag, der allen gehört. Ein Tag, der den Wert der Arbeit anerkennt, indem man sie aussetzt.

Und ja, ich höre schon die Stimmen: „Es geht doch nur um ein paar Stunden, um ein paar Branchen, um Freiwilligkeit.“ Aber so fängt es immer an, oder? Ein kleiner Kompromiss hier, ein bisschen Flexibilität da – und ehe man sich versieht, steht der nächste Vorstoß ins Haus. „Nur Bäcker und Floristen“ – heute. Morgen dann vielleicht Supermärkte, übermorgen Restaurants. Wo ist die Grenze?

Was passiert mit den Menschen hinter den Tresen, die vielleicht nein sagen wollen, aber es nicht können? Die, die still zustimmen, weil der Druck da ist, weil das „Freiwillige“ eben doch nicht immer freiwillig ist. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass Wahlfreiheit dort existiert, wo wirtschaftlicher Zwang herrscht.

Der 1. Mai ist ein Versprechen. Ein Versprechen, dass Arbeit nicht alles ist. Dass es Zeiten gibt, die frei bleiben – für uns, für die Familien, für die Gemeinschaft. Dieser Tag gehört den Menschen, nicht dem Profit.

Sicher, die Welt ändert sich. Aber nicht jede Veränderung ist ein Fortschritt. Es gibt Werte, die sind nicht verhandelbar. Der 1. Mai ist einer davon.

Wer also ein Baguette braucht – warum nicht am 30. April kaufen und einfrieren? Blumen halten auch mal einen Tag länger im Wasser. Ein bisschen Planung ist doch machbar, oder?

Vielleicht sollten wir uns an diesem 1. Mai einfach mal fragen: Ist es das wert?

Von C. Hatty

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