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Was darf sich ein Konzern eigentlich alles erlauben? Diese Frage drängt sich förmlich auf, wenn man den aktuellen Skandal um Nestlé verfolgt. Seit Monaten geraten die berühmten Mineralwassermarken des Schweizer Lebensmittelriesen – darunter Perrier, Vittel, Hépar und Contrex – unter massiven Beschuss. Der Vorwurf: illegale Verfahren zur Reinigung ihrer vermeintlich „natürlichen“ Mineralwässer. Und das ist erst der Anfang.

Sauberes Wasser – aber wie sauber wirklich?

Was offiziell als reines Quellwasser verkauft wird, wurde offenbar mit Methoden behandelt, die laut Gesetz schlichtweg nicht erlaubt sind. Mikrofiltrationen, die chemische und bakterielle Verunreinigungen entfernen sollten, widersprechen dem, was eine „natürliche“ Mineralquelle laut französischem Lebensmittelrecht sein darf. Ein Etikett mit der Aufschrift „natürlich“ bedeutet eigentlich: unbehandelt, direkt aus der Quelle – ohne Tricks, ohne Chemie.

Doch genau dieses Bild beginnt zu bröckeln.

Im April 2024 flog ein besonders gravierender Fall auf: Fast zwei Millionen Flaschen Perrier mussten vernichtet werden. Der Grund? Bakterielle Verunreinigung an der berühmten Quelle in Vergèze. Ein Schock – und ein Hinweis darauf, dass hier mehr als nur ein Einzelfall vorliegt.

Der Élysée in der Kritik

Was den Skandal jedoch wirklich explosiv macht, ist die politische Dimension. Laut einer Untersuchung des französischen Senats soll die Präsidentschaft von Emmanuel Macron bereits 2022 über Nestlés fragwürdige Praktiken informiert gewesen sein. Dokumente belegen E-Mail-Austausch und enge Kontakte zwischen Nestlé-Führungskräften und Beratern des Präsidenten.

Zufall? Kaum.

Die Berichte deuten darauf hin, dass Nestlé auf höchster Ebene Einfluss auf die Gesetzgebung genommen haben könnte – etwa um strengere Auflagen abzuwenden oder Regularien zu entschärfen. Der Generalsekretär des Élysée-Palasts, Alexis Kohler, verweigerte sogar die Aussage vor der parlamentarischen Kommission – ein Vorgehen, das viele als Sabotage der Aufklärung werten.

Verbraucherschutz? Fehlanzeige

Natürlich rief dieser Skandal auch Organisationen wie Foodwatch auf den Plan. Die Verbraucherschützer reichten Klage wegen Verbrauchertäuschung ein. Ihr Vorwurf: Betrug im großen Stil – ein Täuschungsmanöver, das auf Kosten der Gesundheit und des Vertrauens der Bevölkerung geht.

Nestlé wiegelt ab, gibt zwar frühere Regelverstöße zu, pocht aber auf die aktuelle Sicherheit seiner Produkte. Alles sei im Rahmen des Gesetzes – jetzt. Ein beruhigendes Gefühl? Eher nicht.

Gesundheit in Gefahr?

Die französische Agentur für Lebensmittelsicherheit (Anses) meldete sich ebenfalls zu Wort – und das mit mahnendem Unterton. Man sei sich nicht mehr sicher, ob das Qualitätsversprechen vieler Marken noch haltbar sei. Die Empfehlung: deutlich stärkere Kontrollen, mehr Transparenz – und endlich wieder Wasser, auf das sich die Menschen verlassen können.

Denn wer möchte schon beim Griff zur Wasserflasche rätseln, ob man ein Naturprodukt oder ein künstlich gereinigtes Laborerzeugnis in der Hand hält?

Das größere Problem: Macht und Einfluss

Der Fall Nestlé ist kein Einzelfall, sondern ein Spiegelbild eines tiefer liegenden Problems: Die enge Verzahnung zwischen Wirtschaft und Politik. Wenn große Unternehmen sich still und leise Zugang zu den Entscheidungszentren verschaffen, wenn Regelwerke verhandelbar werden – dann ist nicht nur die Glaubwürdigkeit des Wassers in Gefahr, sondern auch die der Demokratie.

Noch laufen die Ermittlungen. Und auch wenn erste Konsequenzen angekündigt wurden – das Vertrauen ist erschüttert. Die Bevölkerung erwartet klare Ansagen, greifbare Veränderungen und endlich die Gewissheit, dass „natürlich“ nicht einfach nur ein Marketingbegriff ist.

Denn sind wir ehrlich: Wenn selbst unser Trinkwasser zur Verhandlungssache wird – was bleibt dann eigentlich noch unverfälscht?

Catherine H.

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