Was als moderne Verbesserung des Pariser Nahverkehrs gedacht war, entpuppt sich aktuell als technische Talfahrt mit Überraschungspotenzial: Seit November 2023 rollen neue RER-NG-Züge auf der Linie RER E – und verursachen seither ein Verkehrschaos, das seinesgleichen sucht.
Nicht etwa wegen schlechter Planung oder fehlender Wartung, sondern wegen eines unscheinbaren, aber entscheidenden Details: Schmiermittel. Genauer gesagt – unverträgliche Schmierstoffe zwischen den alten MI2N-Zügen und den neuen Hochleistungszügen.
Die RER-Linie E, auch als „Éole“ bekannt, verbindet mehrere wichtige Orte im Großraum Paris. Seit ihrer Eröffnung im Jahr 1999 und der Erweiterung im Dezember 2024 erstreckt sich die Linie von Nanterre-La Folie im Westen bis zu den östlichen Endpunkten Chelles-Gournay und Tournan.
Wenn Technik sich nicht verträgt
Um den natürlichen Verschleiß zwischen Rad und Schiene zu mindern, nutzen Züge spezielle Gleitstoffe. Diese werden in kleinen Dosen an den Kontaktstellen eingespritzt – eine Standardpraxis. Doch hier liegt der Hund begraben: Die alten und neuen Züge benutzen unterschiedliche Mittel, die sich offensichtlich nicht „riechen“ können.
Das Resultat? Fettansammlungen auf den Schienen, die für unerwünschte Schmierseifen-Effekte sorgen. Die Räder drehen durch, die Züge verlieren Haftung – und bleiben im schlimmsten Fall mitten auf der Strecke stehen.
Ein schmieriger Albtraum für Pendler
Die Konsequenzen lassen nicht lange auf sich warten. Im Januar 2025 sackt die Pünktlichkeitsrate der Linie RER E auf gerade mal 87,9 Prozent. Für die Pariser Pendler ein nerviger Dauerzustand, für die SNCF ein ernstzunehmendes Problem.
Was tun? Die SNCF hat die Notbremse gezogen und Alstom – den Hersteller der neuen Züge – gebeten, die Lieferung weiterer Fahrzeuge vorerst auf Eis zu legen. Erstmal soll die Technik in den Griff bekommen werden, bevor noch mehr RER-NG-Züge in den Mischbetrieb mit den alten Modellen gehen.
Erste Notmaßnahmen – aber reicht das?
Alstom und SNCF arbeiten seit Wochen unter Hochdruck an einer Lösung. Derzeit werden zwei Notmaßnahmen umgesetzt: Die neuen Züge geben nun weniger Schmiermittel ab, gleichzeitig werden die betroffenen Schienen regelmäßig gereinigt.
Klingt gut – bringt aber nur bedingt Entlastung. Denn solange keine einheitliche oder zumindest kompatible Schmierlösung gefunden ist, bleibt die Gefahr bestehen, dass sich neue Fettfilme bilden. Und die können den Fahrplan erneut durcheinanderwirbeln.
Was sagt das über die Vorbereitung aus?
Die ganze Misere wirft zwangsläufig eine Frage auf: Wie konnte das passieren?
Die Einführung neuer Züge ist normalerweise ein jahrelang geplanter Prozess. Da müsste man doch an so etwas denken – oder? Offenbar wurde in der Testphase nicht ausreichend geprüft, wie sich alte und neue Systeme im realen Betrieb vertragen. Und genau das rächt sich jetzt.
Technisch gesehen ist der Mischbetrieb zwar möglich, aber er fordert höchste Präzision in jedem Detail. Gerade die kleinen Schnittstellen – wie das Schmiermittel – können große Probleme verursachen, wenn sie nicht perfekt abgestimmt sind.
Vertrauen steht auf dem Spiel
Für die Fahrgäste bedeutet das: warten, hoffen und sich ärgern. Und ganz ehrlich – wer regelmäßig auf die Linie RER E angewiesen ist, braucht derzeit starke Nerven. Ein verlässliches öffentliches Verkehrsnetz ist nicht nur ein Komfort, es ist ein Stück Lebensqualität. Und wenn ausgerechnet neue Züge für Stillstand sorgen, kratzt das am Vertrauen.
Die SNCF muss jetzt beweisen, dass sie aus diesem technischen Rückschlag lernt und nicht nur kurzfristig repariert, sondern strukturell verbessert.
Die Realität auf der Schiene
Solche Probleme zeigen einmal mehr, wie komplex die Modernisierung bestehender Infrastrukturen ist. Technik allein reicht nicht – sie muss auch in die vorhandene Welt passen. Was nützt der modernste Zug, wenn er wegen zu viel „Gleitcreme“ auf halber Strecke stecken bleibt?
Die kommenden Wochen werden zeigen, ob sich die Verantwortlichen aus dem aktuellen Durcheinander befreien können – oder ob der „Rutsch-Effekt“ zur Dauerbaustelle wird.
Autor: C.H.
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