Manchmal kommt Weihnachten früher. Nicht aus Versehen, sondern mit voller Absicht – und einem Umschlag mit 100 Euro darin. In Pecquencourt, einer nordfranzösischen Kleinstadt mit rund 6.000 Einwohnern, hat der Bürgermeister auch in diesem Jahr eine Tradition fortgesetzt, die weit über seine Stadtgrenzen hinaus Aufmerksamkeit erregt.
Ohne Antrag, ohne Bedürftigkeitsprüfung, ohne Bürokratie.
Einfach so.
Alle Haushalte, die in Pecquencourt gemeldet sind, erhalten auch 2025 wieder einen sogenannten „Chèque inflation“ – einen Inflationsgutschein im Wert von 100 Euro. Das ist bereits das vierte Jahr in Folge, in dem die Kommune dieses Geldgeschenk verteilt. Eine symbolische Geste, gewiss – aber eben auch eine handfeste.
Das Prinzip ist ebenso einfach wie wirkungsvoll: Jeder Haushalt bekommt denselben Betrag. Die einzige Bedingung? Man muss in der Gemeinde wohnen. Und: Der Gutschein darf ausschließlich in den örtlichen Geschäften ausgegeben werden. Kein Cent fließt ins Internet, kein Euro zu großen Ketten. Alles bleibt vor Ort – genau so war es gedacht.
Die Wirkung? Spürbar.
„Wir sind gerade erst hierhergezogen“, erzählt eine junge Mutter beim Abholen ihres Gutscheins. „Für uns ist das eine große Überraschung – ein Willkommensgeschenk quasi. Und für die Kinder natürlich ein schönes Extra am Jahresende.“ Andere sprechen von Lebensmitteleinkäufen oder kleinen Anschaffungen des Alltags, die nun leichter fallen. Keine großen Sprünge – aber ein wenig Luft zum Atmen.
Für Bürgermeister Joël Pierrache ist das kein Luxusprojekt, sondern bewusste Wirtschaftspolitik im Kleinen. „Wir hatten in diesem Jahr erneut die finanziellen Spielräume, um diese Maßnahme umzusetzen“, erklärt er. Rund 2.600 Haushalte haben den Gutschein abgeholt – das entspricht einem Gesamtbetrag von etwa 260.000 Euro.
Doch das Geld versickert nicht irgendwo – es zirkuliert.
Denn: Eingelöst werden können die Gutscheine ausschließlich in Pecquencourt. In der Bäckerei, beim Metzger, in der Apotheke, im Blumenladen, im Supermarkt, beim Optiker. Insgesamt machen 40 Einzelhändler mit. Sie freuen sich – über Kundschaft, Umsatz und das Vertrauen der Stadt.
Valérie Piat, Floristin mit eigenem Geschäft, ist begeistert: „Schon am frühen Morgen waren die ersten Gutscheine eingelöst. Die Leute kommen gezielt – und gönnen sich auch mal etwas Schönes.“ Der Gutschein sei nicht nur eine Hilfe für die Bürger, sondern ein echter Schub für den lokalen Handel.
Ein paar Häuser weiter bestätigt Optiker Anthony Blandin: „Manche Kunden entscheiden sich plötzlich für eine etwas hochwertigere Brille oder eine zweite Ausstattung. Der Gutschein senkt die Hemmschwelle – für uns und für sie ist das ein Gewinn.“
Was in Pecquencourt geschieht, wirkt wie ein wohltuender Kontrast zur großen politischen Debatte um Kaufkraft und soziale Gerechtigkeit in Frankreich. Während auf nationaler Ebene über Energieschecks, Inflationsausgleich und Steuerpolitik gestritten wird, liefert diese Kleinstadt ein Beispiel dafür, wie pragmatisch und konkret kommunale Solidarität aussehen kann.
Nicht mit großen Worten, sondern mit einem kleinen Schein.
Natürlich: 100 Euro retten niemanden vor Armut, verändern keine Lebensrealitäten dauerhaft. Aber sie tun etwas anderes. Sie signalisieren: Ihr seid uns nicht egal. Wir sehen euch. Und: Wir handeln.
Gleichzeitig zeigt das Modell, dass lokale Wirtschaftsförderung nicht nur mit staatlichen Zuschüssen und Steuererleichterungen funktionieren muss. Sie kann auch über Vertrauen, Nähe und Kreativität gelingen. Indem man die Menschen vor Ort unterstützt – und ihnen zutraut, selbst zu entscheiden, was sie brauchen.
Bleibt die Frage: Wäre so etwas auch anderswo denkbar?
In Frankreich? Möglich. In Deutschland? Vielleicht. Doch dazu bräuchte es mehr als nur einen gut gefüllten Stadtsäckel. Es bräuchte Mut – und das Verständnis, dass Politik nicht immer nur auf Gesetzen, sondern manchmal auf Gesten beruhen kann.
In Pecquencourt ist diese Geste längst zur Gewohnheit geworden. Eine schöne, einfache, wirkungsvolle.
Fast wie Weihnachten eben.
Von C. Hatty
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