Wer sich die Weltgeschichte wie einen dichten Wald voller Ereignisse vorstellt, stößt am 23. März auf einige besonders markante Bäume. Manche ragen hoch auf, andere sind eher unscheinbar, doch zusammen zeichnen sie ein erstaunliches Bild vom politischen, kulturellen und sozialen Wandel – global und besonders in Frankreich.
1933: Der Tag, an dem das „Ermächtigungsgesetz“ den Weg zur Diktatur ebnete
Beginnen wir mit einem der düstersten Kapitel der deutschen Geschichte. Am 23. März 1933 verabschiedete der Reichstag im Berliner Kroll-Opernhaus das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“. Besser bekannt als das Ermächtigungsgesetz.
Ein harmlos klingender Titel – aber der Inhalt hatte es in sich: Die Regierung unter Adolf Hitler konnte fortan ohne parlamentarische Zustimmung Gesetze erlassen. Selbst Verfassungsänderungen waren möglich. Damit war die Weimarer Demokratie de facto abgeschafft, der Weg für die NS-Diktatur geebnet.
Was viele nicht wissen: Dieses Gesetz kam nicht einfach so durch. Die Nazis hatten den Reichstag bereits durch Terror und Einschüchterung auf Linie gebracht. Kommunistische Abgeordnete saßen nach dem Reichstagsbrand in Haft, viele Sozialdemokraten wurden bedroht. Nur 94 mutige SPD-Abgeordnete stimmten dagegen – einer von ihnen, Otto Wels, hielt eine denkwürdige Rede. Ein letztes Aufbäumen der Demokratie, ehe die Dunkelheit hereinbrach.
1848 in Mailand: Wenn ein Volk sich gegen die Besatzer erhebt
Springen wir 85 Jahre zurück – nach Norditalien. Am 23. März 1848 endeten in Mailand die sogenannten „Cinque Giornate“, die „fünf Tage von Mailand“. Der Aufstand gegen die österreichische Herrschaft hatte die Stadt erschüttert, Barrikadenkämpfe zwischen Bürgern und kaiserlichen Truppen tobten in den Straßen.
An jenem Tag zog sich die Armee von Feldmarschall Radetzky zurück. Die Italiener jubelten, glaubten an den Sieg der Revolution. Es war ein kurzer Triumph – nur Monate später schlugen die Habsburger mit aller Härte zurück. Aber die Flamme der italienischen Einigung war entfacht, und Mailand wurde zu einem Symbol für den Widerstand gegen fremde Herrschaft.
1991: Referendum in Russland – der Anfang vom Ende
Wieder ein ganz anderes Kapitel – diesmal aus dem Jahr 1991. Die Sowjetunion wankte, der Eiserne Vorhang war gefallen. Und dann geschah etwas, das sich nur wenige Jahre zuvor kaum jemand hätte vorstellen können: Am 23. März fand ein Referendum über die Zukunft der Sowjetunion statt.
Fast 80 % der Teilnehmer stimmten für den Erhalt einer reformierten Union. Und doch sollte es nicht so kommen. Die Realität überholte das Ergebnis – nur acht Monate später existierte die Sowjetunion nicht mehr. Es war ein Tag zwischen den Zeiten, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Fast wie ein letzter Versuch, das Unaufhaltsame aufzuhalten. Aber wer hätte es ernsthaft glauben können?
2001: Der Startschuss für die ISS-Crew
Ein kleiner Sprung nach oben – buchstäblich. Am 23. März 2001 startete das Space-Shuttle Discovery mit einer siebenköpfigen Crew zur Internationalen Raumstation (ISS). Eine Mission, die technisches Können, internationale Zusammenarbeit und menschliche Neugier vereinte. Inmitten all der politischen und militärischen Umbrüche ein starkes Zeichen: Die Menschheit kann auch gemeinsam in Richtung Zukunft blicken.
Frankreich am 23. März – mehr als nur ein Nebenschauplatz
Natürlich lohnt sich auch ein genauer Blick auf Frankreich. Hier hat der 23. März ebenfalls Spuren hinterlassen.
1910 etwa wurde Akira Kurosawa geboren – ein japanischer Regisseur, klar, aber warum das in einem Frankreich-Abschnitt? Ganz einfach: Kein anderer asiatischer Filmemacher hat das europäische Kino, insbesondere das französische der Nouvelle Vague, so beeinflusst wie er. Truffaut, Godard und selbst Tarantino – sie alle standen in seiner kreativen Schuld. Sein Geburtstag wurde in Paris regelmäßig in Cinemathèques gefeiert. Manchmal lohnt sich ein Umweg, um ans Ziel zu kommen.
Deutlich französischer geht es 1968 zu. In Nanterre, einem Vorort von Paris, begann eine kleine Studentengruppe unter einem gewissen Daniel Cohn-Bendit zu protestieren. Am 23. März eskalierte die Lage: Es kam zu Zusammenstößen mit der Polizei. Was als lokale Unzufriedenheit begann, sollte wenige Wochen später in den Mai-Unruhen gipfeln, die ganz Frankreich erschütterten.
Ein Student aus der Zeit erzählte später, dass er sich in jenem Frühling „plötzlich wie ein Weltveränderer“ gefühlt habe. Es lag etwas in der Luft – Aufbruch, Wut, Hoffnung. Und ein bisschen Größenwahn.
Kleiner Fun Fact am Rande
Auch das darf mal sein: Am 23. März 1983 verkündete US-Präsident Ronald Reagan die Entwicklung der sogenannten Strategic Defense Initiative (SDI) – im Volksmund „Star Wars“-Programm genannt. Ziel: Ein Raketenschild gegen sowjetische Atomwaffen. Science-Fiction traf Geopolitik. Die Franzosen kommentierten die Initiative damals spöttisch als „Hollywood-Diplomatie“.
Ein Tag wie ein Kaleidoskop
Wer hätte gedacht, dass ein einziges Datum so viele Facetten zeigen kann? Vom repressiven Gesetz in Berlin bis zur Raumfahrt-Mission im All, von Straßenschlachten in Mailand bis zu studentischen Unruhen bei Paris – der 23. März zieht sich durch die Geschichte wie ein feines Gewinde durch ein altes Tuch.
Manchmal war er Wendepunkt, manchmal Auslöser. Oft war er ein Zwischenruf im großen Konzert der Ereignisse. Und vielleicht fragt man sich: Wenn an einem einzigen Tag so viel passieren kann – was bringt dann erst der nächste?
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