Tag & Nacht


Ein Satz, ein Schock: „27 Höfe verschwinden jeden Tag in Frankreich.“ Mit dieser Aussage sorgte die grüne Abgeordnete Sandrine Rousseau jüngst für Schlagzeilen. Sie richtet sich damit gegen die sogenannte „Loi Duplomb“, ein Gesetz, das Umwelt- und Hygieneauflagen für landwirtschaftliche Betriebe lockern will. Doch stimmt das überhaupt – und was steckt hinter dieser drastischen Zahl?

Die Antwort liegt in einer Statistik, die nüchtern und doch alarmierend ist.

Laut dem landwirtschaftlichen Zensus 2020 des französischen Agrarministeriums (Agreste) haben zwischen 2010 und 2020 rund 101.000 Bauern ihre Höfe in Frankreich aufgegeben – das entspricht rechnerisch etwa 27 Schließungen pro Tag. Eine symbolische Zahl, zugegeben, aber sie offenbart einen unaufhaltsamen Trend: Die Landwirtschaft verändert sich rasant – und die Verlierer sind meist die Kleinen.

Ein Strukturwandel mit System

Man muss kein Agrarwissenschaftler sein, um zu erkennen, was hier passiert: Kleine und mittlere Familienbetriebe geraten zunehmend unter Druck. Der Markt verlangt größere Mengen, effizientere Prozesse, mehr Spezialisierung. Die Folge? Wer nicht mithalten kann, verschwindet.

So schrumpfte der Anteil der Mikro- und Kleinbetriebe zwischen 2010 und 2020 um durchschnittlich 4 % pro Jahr. Parallel dazu wuchsen die Großbetriebe – wenn auch langsamer. Das Bild ist eindeutig: Während die Großen wachsen, sterben die Kleinen.

Manche mögen sich fragen: Ist das einfach der Lauf der Dinge? Ein ökonomischer Darwinismus, wie Rousseau es nennt? Die Antwort ist komplex – und hat viele Facetten.

Rationalisierung oder Raubbau?

Ein Hauptgrund für das Höfesterben: mangelnde Rentabilität. Kleine Betriebe erwirtschaften oft zu wenig, um wirtschaftlich zu überleben. Hinzu kommen steigende Auflagen, hohe Investitionen und der wachsende Druck von Handelsketten und Großabnehmern. Viele Bauern geben auf – nicht aus Mangel an Willen, sondern aus Mangel an Perspektive.

Und dann ist da noch der demografische Wandel. Ein Großteil der heutigen Landwirte ist über 50, bis 2030 wird die Hälfte von ihnen im Ruhestand sein. Doch Nachfolger sind rar. Der Nachwuchs schreckt vor einem Beruf zurück, der wenig Sicherheit, aber viel Verantwortung bringt. Die Folge: Höfe finden keine Erben – und werden verkauft, meist an bereits große Betriebe.

Die stille Landnahme

Man spricht viel über Urbanisierung, aber nur selten über das, was auf dem Land verloren geht. Seit 1970 hat sich die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Frankreich von über 1,5 Millionen auf nur noch 390.000 im Jahr 2020 reduziert – ein Rückgang von mehr als 75 %. Die kleineren Höfe mit weniger als 20 Hektar Fläche sind sogar um 84 % geschrumpft.

Was hier stattfindet, ist eine stille Landnahme – nicht durch Großkonzerne, sondern durch wirtschaftliche Notwendigkeit. Viele Flächen bleiben zwar in Nutzung, wechseln aber die Hände. Die Statistik zählt das als Betriebsaufgabe – auch wenn auf dem Papier die Landwirtschaft weitergeht.

27 – nur eine Momentaufnahme

Interessant dabei: Die Zeitspanne zwischen 2010 und 2020 war im historischen Vergleich sogar relativ „mild“. In den 1990er Jahren verschwanden rund 79 Betriebe pro Tag. Die Zahl 27 wirkt dagegen fast beruhigend. Doch aktuelle Zahlen zeigen: Der Trend beschleunigt sich wieder. Zwischen 2020 und 2023 sind weitere 40.000 Höfe verschwunden. Damit wären es 36 täglich.

Eine Beruhigung? Wohl kaum.

Zukunft mit Fragezeichen

Wie geht es weiter? Bis zum nächsten Agrarzensus 2030 bleibt viel Raum für Spekulation. Doch vieles spricht dafür, dass die Vielfalt der französischen Landwirtschaft weiter schrumpft. Zwar wird es laut Prognosen weiterhin unterschiedliche Modelle geben – vom Kleinsthof bis zum Agrarindustriellen –, doch der Platz für die „mittlere Größe“ wird enger.

Und während Gesetze wie die „Loi Duplomb“ offiziell der Entbürokratisierung dienen sollen, befürchten viele Landwirte, dass genau das die letzten Schutzmechanismen aushebelt – und damit die kleinen Betriebe noch weiter ins Abseits drängt.

Also: Verschwinden wirklich 27 Höfe pro Tag?

Rechnerisch ja. Inhaltlich steckt dahinter jedoch weit mehr als nur eine Zahl. Es ist das Abbild eines tiefgreifenden Strukturwandels, der leise, aber erbarmungslos ganze Lebensrealitäten auflöst.

Und der am Ende eine Frage aufwirft, die über Frankreich hinausgeht: Welche Landwirtschaft wollen wir eigentlich – und wer soll sie betreiben?

Autor: C.H.

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