Der 4. Mai ist ein Datum, das sich fest im Gedächtnis der Geschichte verankert hat. Ein Tag, an dem in Frankreich Barrikaden errichtet, in den USA geschossen, in Jugoslawien getrauert und in Italien Fußballgeschichte geschrieben wurde. Kaum ein Tag ist so facettenreich – und doch bleibt er oft unbemerkt, obwohl er die Welt an vielen Stellen nachhaltig verändert hat.
Paris 1968 – Der Funke einer Revolte
Frankreich am 4. Mai 1968: Die Sorbonne in Paris wird geschlossen. Was wie eine Verwaltungsmaßnahme wirkt, entwickelt sich binnen Stunden zur Initialzündung einer Protestbewegung, die das ganze Land erschüttert. Studenten, Arbeiter, Intellektuelle – sie alle stellen sich gegen ein System, das sie als verkrustet, autoritär und ungerecht empfinden. Die Straße wird zum politischen Schauplatz, die Parolen an den Wänden – „Sous les pavés, la plage!“ – werden zum Schlachtruf einer Generation.
Wer heute an Frankreichs gesellschaftliche Umbrüche denkt, landet früher oder später bei diesem Mai. Die Forderungen nach Mitbestimmung, Gleichheit und einem anderen Leben hallen noch Jahrzehnte nach. Viele soziale Reformen der Folgejahre wurzeln genau hier.
Das „Kleine Maximumgesetz“ – Brot für alle?
Rund 175 Jahre zuvor, ebenfalls in Paris, reagiert die Revolutionsregierung am 4. Mai 1793 mit einem drastischen Schritt auf die Hungersnot: Sie setzt Höchstpreise für Getreide fest – ein Versuch, das Elend der Armen zu lindern und die Versorgung zu sichern. Doch wie so oft zeigt sich auch hier: Gute Absichten allein machen noch kein funktionierendes Wirtschaftssystem. Schwarzmärkte florieren, Bauern rebellieren, und die Spannungen im Land nehmen weiter zu.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie eng soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Stabilität und politische Macht verflochten sind.
Kent State 1970 – Schüsse auf die Zukunft
- Mai 1970. Kent State University, Ohio. Studenten protestieren gegen den Vietnamkrieg – friedlich, laut, unbequem. Doch was dann geschieht, trifft die USA ins Mark: Die Nationalgarde eröffnet das Feuer, vier junge Menschen sterben, weitere werden verletzt.
Ein Foto von einer trauernden Studentin neben einem toten Kommilitonen geht um die Welt – und mit ihm ein Aufschrei gegen Gewalt, Unterdrückung und eine Regierung, die den Kontakt zur jungen Generation verloren zu haben scheint.
Ein brutaler Beweis dafür, wie dünn der Firnis der Demokratie manchmal ist. Und ein Lehrstück in Sachen Protestkultur, das bis heute nachwirkt.
Haymarket 1886 – Kampf für den Achtstundentag
Ein anderes Amerika, ein anderes Jahrhundert: Chicago, 1886. Arbeiter kämpfen für gerechte Arbeitszeiten – mit Demonstrationen, Streiks, Aufrufen. Am 4. Mai explodiert bei einer Kundgebung auf dem Haymarket eine Bombe. Chaos. Polizisten und Demonstranten sterben. Der Traum von Gerechtigkeit wird in Blut getränkt.
Und doch: Der 1. Mai, der heute weltweit als Tag der Arbeit begangen wird, geht auf diesen Kampf zurück. Ein weiteres Mal zeigt sich: Fortschritt entsteht nicht durch Passivität, sondern durch Widerstand.
Titos Tod 1980 – Ein Land verliert seinen Kitt
Jugoslawien, 4. Mai 1980. Josip Broz Tito stirbt. Der Mann, der das Land zusammenhielt, der kommunistische Führer mit Charisma und eiserner Hand, ist nicht mehr. Die Trauer ist groß – doch sie überdeckt nur kurz die politischen Risse, die sich schon längst durch den Vielvölkerstaat ziehen.
Was folgt, ist bekannt: Nationalismus, Krieg, Zersplitterung. Tito war kein Heiliger, aber er war das Bollwerk gegen das, was nach ihm kam. Sein Tod markiert mehr als ein persönliches Ende – er ist das Vorbeben eines politischen Bebens, das Europa nachhaltig verändert.
Superga 1949 – Ein Verein verliert seine Seele
Ein ganz anderes Drama erschüttert Italien am 4. Mai 1949. Die Mannschaft des AC Turin – das „Grande Torino“, wie sie genannt wird – stürzt bei der Rückkehr von einem Freundschaftsspiel in Lissabon mit dem Flugzeug ab. Alle 31 Insassen sterben.
Turin versinkt in Trauer, ganz Italien trauert mit. Die Mannschaft war Symbol für Hoffnung und Aufschwung nach dem Krieg. Ihr plötzlicher Verlust reißt ein Loch ins Herz des italienischen Fußballs, das sich nie ganz schließt.
Hollywood 1927 – Die Oscars nehmen Fahrt auf
Zurück auf die andere Seite des Atlantiks: Am 4. Mai 1927 gründet sich in Los Angeles die Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Zunächst eine Interessensvertretung, wird sie bald zur Instanz in der Filmwelt. Die Oscars, die jährlich verliehen werden, sind heute das Nonplusultra der Filmbranche.
Wer hätte gedacht, dass dieser eher unspektakuläre Tag in einem Konferenzraum einmal über Karrieren, Glanz und Glamour bestimmen würde?
Hemingway 1953 – Der alte Mann, das Meer und der Preis
Am selben Tag, ein Vierteljahrhundert später, wird Ernest Hemingway für seine Novelle „Der alte Mann und das Meer“ mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Die Geschichte eines alten Fischers, der sich gegen einen riesigen Marlin behauptet, berührt Leser weltweit. Eine Geschichte von Stolz, Verlust und dem ewigen Kampf gegen die Elemente – und gegen sich selbst.
Ein literarischer Meilenstein, der Hemmingways Status als Meister der klaren Sprache und tiefen Menschlichkeit festzurrt.
Schalke 04 – Fußballliebe seit 1904
In Deutschland steht der 4. Mai auch für eine Gründung mit Kultpotenzial: 1904 entsteht in Gelsenkirchen der FC Schalke 04. Was als Schülerprojekt beginnt, wird zu einer der legendärsten Fußballinstitutionen des Landes – mit all ihren Höhen, Tiefen und dem ganz eigenen Ruhrpott-Charme.
Wie oft wurde Schalke schon totgesagt – und kam dann wieder? Irgendwie passt das zur Geschichte des 4. Mai: Nichts bleibt, wie es ist. Aber alles hat seinen Ursprung.
Und heute?
Man fragt sich fast automatisch: Welche Entscheidungen, welche Begegnungen, welche scheinbar beiläufigen Ereignisse am heutigen 4. Mai werden später einmal Geschichte sein?
Vielleicht sitzt irgendwo ein junger Mensch, schreibt einen Aufruf, gründet eine Idee, die morgen die Welt verändert. Vielleicht ahnt niemand, dass gerade jetzt ein Umbruch seinen Anfang nimmt.
Denn eines zeigt dieser Tag auf beeindruckende Weise: Geschichte ist nicht das, was in Büchern steht – sie entsteht jeden Tag neu.
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