Tag & Nacht




Frankreichs verspäteter Triumph: Das Wahlrecht der Frauen bleibt Auftrag und Mahnung

Am 29. April 1945 schrieben Frankreichs Frauen Geschichte. Zum ersten Mal gingen sie an die Wahlurnen – ein Recht, das ihnen jahrzehntelang verweigert worden war. Und doch trat dieser Moment nicht aus reiner staatsbürgerlicher Großzügigkeit ein, sondern war das Ergebnis zäher Kämpfe, politischer Widerstände und beharrlichen Engagements mutiger Frauen. Wer heute auf diesen Tag zurückblickt, erkennt darin nicht nur einen Meilenstein der Demokratisierung, sondern auch ein Mahnmal der Versäumnisse.

Dass Frankreich – das sich selbst gern als Wiege der Menschenrechte stilisiert – erst 1945 das Frauenwahlrecht einführte, bleibt eine historische Ironie. Während Neuseeland, Finnland und andere Staaten längst Tatsachen geschaffen hatten, klammerten sich die politischen Eliten in Paris an überkommene Strukturen. Konservative Beharrungskräfte, patriarchale Interessen und eine tiefe Skepsis gegenüber dem politischen Verstand der Frau verhinderten lange, was aus heutiger Sicht selbstverständlich scheint.

Erst die Erschütterung durch den Zweiten Weltkrieg, der Verlust politischer und moralischer Gewissheiten, öffnete das Fenster der Gelegenheit. In Algier, fernab des besetzten Mutterlandes, unterzeichnete der provisorische Regierungsrat am 21. April 1944 die Verordnung, die den Französinnen endlich gleiche staatsbürgerliche Rechte zusicherte. Ohne den Einsatz einzelner, etwa des kommunistischen Abgeordneten Fernand Grenier, wäre diese späte Wende womöglich noch länger ausgeblieben.


Das erste Kreuz auf dem Stimmzettel

Als am 29. April 1945 die Wahllokale öffneten, strömten die Frauen massenhaft herbei. Viele von ihnen hatten in der Résistance ihr Leben riskiert; nun durften sie über die Zukunft ihres Landes mitentscheiden. Ein halbes Jahr später zogen 33 Frauen ins Parlament ein – ein kleiner, symbolträchtiger Anfang.

Doch der Weg von der Wahlberechtigung zur tatsächlichen Machtbeteiligung erwies sich als lang und steinig. Jahrzehnte lang blieben Frauen im politischen Betrieb eine Minderheit – an den Rand gedrängt oder auf sozialpolitische Nebenbühnen verbannt. Erst die Paritätsgesetze zu Beginn des 21. Jahrhunderts brachten Bewegung in die festgefahrenen Strukturen. Aber auch heute, 80 Jahre nach dem historischen Urnengang, bleibt der Befund ernüchternd: Der Frauenanteil im Parlament liegt bei gut 37 Prozent. Fortschritt ja – Parität nein.

Man könnte fragen: Warum hält sich diese Schieflage so hartnäckig?


Demokratie braucht ständige Wachsamkeit

Die Antwort ist so simpel wie unbequem: Institutionelle Trägheit, kulturelle Vorbehalte und eine bis heute wirksame Vorstellung davon, wer für Macht geschaffen sei, verhindern die echte Gleichstellung. Gesetzliche Vorgaben mögen helfen, doch sie stoßen an ihre Grenzen, solange sich das gesellschaftliche Bewusstsein nicht grundlegend wandelt.

Das Jubiläum des Frauenwahlrechts mahnt zur Reflexion: Demokratische Rechte sind kein statisches Gut. Sie müssen verteidigt und, wo nötig, neu erstritten werden. Politische Teilhabe ist kein Automatismus, sondern ein permanenter Akt des Wollens und Handelns.

Man stelle sich nur für einen Moment vor, die Französinnen hätten 1945 auf ihr Recht verzichtet. Welche Richtung hätte die Geschichte genommen?


Vom Recht zur Selbstverständlichkeit

Frankreich feiert – zu Recht – 80 Jahre Frauenwahlrecht. Doch ein bloßer Festakt genügt nicht. Der Geist, der damals tausende Frauen an die Urnen trieb, sollte auch heute Leitstern sein: Nicht das Erreichte genügt, sondern das Erreichbare verpflichtet.

Frauen in der Politik dürfen keine Ausnahmeerscheinung sein – sondern Ausdruck einer Demokratie, die ihren eigenen Ansprüchen gerecht wird. Dafür braucht es nicht nur Gesetze, sondern einen Mentalitätswandel. Einen Wandel, der die Stimme der Frau nicht als Randnotiz, sondern als unverzichtbaren Bestandteil demokratischer Wirklichkeit begreift.

Die Französinnen des Jahres 1945 wussten: Wer wählt, übt Macht aus.

Diese Lektion bleibt, auch 80 Jahre später, hochaktuell.

Von Catherine H.

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