Tag & Nacht


Da sitzt er. 18 Jahre alt. Zwei Messer im Rucksack. Ein Junge, der Frauen töten wollte, weil sie ihn nicht wollten.

Timoty G. aus Saint-Étienne. Schüler. Ein Gesicht, wie man es morgens in der Straßenbahn sieht – müde Augen, Kapuzenpulli, Kopfhörer. Ein Gesicht, dem man höchstens einen kleinen Kifferverstoß zutrauen würde. Keinen Terror.

Doch genau das war er. Ein Terrorist. Kein religiös verblendeter Märtyrer, kein paramilitärischer Milizenjunge. Sondern: Ein „Incel“. Ein Junge, der Frauen hasst, weil sie ihn nicht lieben. Ein Junge, der seine eigene Wertlosigkeit nicht ertragen kann und stattdessen alle Frauen verantwortlich macht.

Klingt traurig, nicht wahr?

Ja, es ist traurig. Diese Männer sitzen stundenlang in dunklen Zimmern, scrollen auf TikTok durch Videos, die ihnen einreden: Du bist nicht schuld. Du bist Opfer. Die Frauen sind schuld. Die Gesellschaft ist schuld. Dein hässliches Gesicht ist nicht dein Problem – es ist ihre Oberflächlichkeit.

Und so wird Selbsthass zu Frauenhass. Hass, der sich im stillen Kämmerlein staut, bis er sich eine Klinge schärft.

„Incel“ – mehr als eine Szene von einsamen Losern

Wir belächeln sie oft. Diese Incels mit ihren Foren voller Memes über „Chads“ (attraktive Männer) und „Stacys“ (attraktive Frauen), die sie angeblich alle quälen. Wir denken: „Ach, kleine arme Würstchen. Sollen sie doch weiter Computerspiele spielen und in ihrer Traurigkeit versumpfen.“

Aber genau das ist der Denkfehler.

Sie sind nicht nur traurige Würstchen. Sie sind gefährlich. Denn Hass sucht immer ein Ventil. Mal ist es ein Wutanfall. Mal ein Mord.

2014 erschoss Elliot Rodger in Kalifornien sechs Menschen. 2018 fuhr Alek Minassian in Toronto mit einem Van in eine Menschenmenge. Jetzt wollte Timoty G. in Frankreich Frauen erstechen. Weil sie ihn nicht lieben.

Ja, es ist erbärmlich. Ja, es ist traurig. Aber vor allem ist es tödlich.

Hass macht nicht stark – Hass kann töten

Was in diesen Köpfen abgeht, ist eine perfide Mischung aus psychischer Krankheit, Einsamkeit und ideologischer Verblendung. Incels sehen sich als „die wahren Opfer“. Ihr größter Schmerz: niemand liebt sie. Ihre größte Lüge: es liegt nicht an ihnen.

Sie sind zu feige, sich ihrem Spiegelbild zu stellen. Lieber verwandeln sie diese Angst in Gewaltfantasien gegen Frauen. Frauen, die lächeln. Frauen, die frei sind. Frauen, die nicht einmal wissen, dass dieser Junge sie hasst. Und vielleicht genau deswegen hasst er sie so sehr.

Warum mir dieses Thema so nahegeht?

Weil ich solche Männer kenne. Nicht als Freunde – um Himmels Willen. Aber aus Nachrichten, Kommentaren, Foren, Chatrooms. Diese Haltung wabert überall im Netz, als würde sie da schon immer wohnen. Sie spüren deinen Erfolg, dein Glück, deine Freiheit – und verachten dich dafür.

Ich könnte Mitleid empfinden. Ehrlich. Für ihr Elend, ihre Verzweiflung, ihr grausames Gefühl, niemals geliebt zu werden.

Aber Mitleid endet genau da, wo Messer geschärft werden.

Mitleid hat keinen Platz, wenn jemand sich entscheidet, das eigene Leid mit Blut zu lindern.

Und was jetzt?

Wir müssen hinschauen. Wir müssen reden. Wir müssen diese Szene ernst nehmen, statt sie zu belächeln. Nicht nur aus Mitleid – sondern aus Selbstschutz. Denn sie sind nicht nur traurig. Sie sind nicht nur einsam. Sie sind nicht nur gebrochen.

Sie sind gefährlich.

Und manchmal… ist Mitleid ein Luxus, den wir uns nicht leisten können.

Von C. Hatty

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