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Am 6. August 2025 ist ein neues Migrationsabkommen zwischen Frankreich und dem Vereinigten Königreich in Kraft getreten. Es startet einen Austauschmechanismus, der vorsieht, dass für jeden irregulären Migranten, der von Großbritannien nach Frankreich zurückgeführt wird, im Gegenzug ein in Frankreich registrierter Asylsuchender mit hoher Anerkennungschance nach Großbritannien umgesiedelt wird. Das sogenannte „un pour un“-Modell soll den bilateralen Umgang mit den irregulären Kanalüberquerungen verbessern – doch insbesondere in Calais stößt das Abkommen auf massive Kritik von Hilfsorganisationen und lokalen Akteuren.


Regelung mit vielen Unklarheiten

Kernstück des Abkommens ist eine wöchentliche „Quote“ von bis zu 50 Personen, die auf beiden Seiten transferiert werden können. Großbritannien übernimmt die Transportkosten, Frankreich wird im Falle einer Rückführung binnen 14 Tagen informiert, die Umsetzung soll innerhalb von drei Monaten erfolgen.

Ausgenommen von der Rückführung sind Personen mit laufenden Asylverfahren, Minderjährige sowie solche mit anhängigen Rechtsverfahren. Frankreich behält sich zudem vor, Rückführungen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder außenpolitischer Erwägungen abzulehnen. Trotz dieser Regeln bleiben viele Fragen offen – etwa zur Auswahl der Betroffenen, zur rechtlichen Grundlage des Verfahrens oder zu den Kriterien für „familiäre Bindungen“ und „Asylchancen“.


Zivilgesellschaftlicher Widerstand

Zahlreiche Organisationen, darunter Utopia 56, äußern scharfe Kritik am Abkommen. Sie sehen in der Regelung keinen Fortschritt, sondern eine Gefahr für die Betroffenen: Menschen würden durch wiederholte Rückführungen in einen Zustand ständiger Unsicherheit und institutionalisierter Perspektivlosigkeit versetzt. Eine menschenwürdige Integration sei so kaum möglich.

Viele NGOs befürchten außerdem eine Intensivierung polizeilicher Maßnahmen, mehr Razzien und gewaltsame Auflösungen informeller Lager. Insbesondere im Raum Calais, wo sich schon jetzt Hunderte Geflüchtete unter prekären Bedingungen aufhalten, drohe eine Eskalation. Der neue Mechanismus, so die Kritik, schaffe keinen Rechtsfrieden, sondern verfestige einen Zustand der Entrechtung und des Wartens.


Effizienz fraglich

Auch in politischer Hinsicht wird die Wirksamkeit des Abkommens in Zweifel gezogen. Zwar zielt es auf die Eindämmung irregulärer Überfahrten über den Ärmelkanal, doch angesichts von über 25.000 Überquerungen allein im Jahr 2025 – ein Anstieg um fast 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr – erscheint die Maßnahme symbolpolitisch.

Mit nur 50 Fällen pro Woche betrifft der Mechanismus weniger als 0,5 Prozent der tatsächlichen Migrationsbewegungen. Hinzu kommen rechtliche Hürden, die Rückführungen verzögern oder unmöglich machen können – etwa fehlende Altersnachweise, Datenschutzbeschränkungen oder die Unwägbarkeiten nationaler Gerichtsverfahren.

Der Eindruck entsteht, dass der politische Symbolwert – vor allem für die britische Öffentlichkeit – im Vordergrund steht, während der praktische Nutzen begrenzt bleibt.


Kalter Sommer in Calais

In Calais, dem neuralgischen Punkt der französisch-britischen Migrationsroute, zeigt sich bereits die Anspannung. Lokale Hilfsorganisationen berichten von wachsender Unsicherheit unter den Geflüchteten. Viele fürchten, künftig systematisch nach Frankreich zurückgeschickt zu werden – ohne Klarheit über ihre Perspektive, ohne neue Unterbringung und ohne sozialrechtlichen Schutz.

Gleichzeitig fehlt es den kommunalen Strukturen an Ressourcen: Notunterkünfte sind überfüllt, medizinische Versorgung und soziale Unterstützung lückenhaft. Das neue Abkommen droht, diese Probleme zu verschärfen. Nicht nur mehr Menschen, sondern auch mehr Frustration, mehr Reibung mit der Polizei und eine mögliche Zunahme gewaltsamer Auseinandersetzungen werden befürchtet.


Der neue Migrationsdeal zwischen Paris und London ist der jüngste Versuch, auf die steigenden irregulären Einreisen über den Ärmelkanal zu reagieren – ohne die strukturellen Ursachen zu adressieren. Die Kritik von NGOs und lokalen Akteuren macht deutlich, dass kurzfristige Mechanismen und symbolträchtige Lösungen nicht ausreichen, um komplexe Migrationsdynamiken nachhaltig zu steuern. Ob das Abkommen bis zu seinem geplanten Auslaufen im Juni 2026 Wirkung entfaltet oder eher neue Spannungen erzeugt, bleibt offen. In Calais jedenfalls überwiegt die Sorge.

Autor: P. Tiko

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