Tag & Nacht




Am 8. September entscheidet die französische Nationalversammlung über das politische Schicksal von Premierminister François Bayrou. Der Regierungschef hat selbst die Vertrauensfrage gestellt – in dem Wissen, dass sich die Mehrheitsverhältnisse gegen ihn verschieben. Denn diesmal scheint die Opposition, von radikal links bis rechts außen, fest entschlossen, seine Regierung zu stürzen.

Ein Premier gegen die Front aller Parteien

Seit Monaten kämpft Bayrou mit einer schwierigen Lage: Die Staatsverschuldung hat 2024 die Marke von 113 Prozent des BIP erreicht. Sein Konsolidierungspaket für 2026 in Höhe von 44 Milliarden Euro sieht harte Einschnitte vor: die Streichung zweier Feiertage, Kürzungen im öffentlichen Dienst und eine „Solidaritätsabgabe“ für Spitzenverdiener. Maßnahmen, die nach seiner Darstellung notwendig sind, um den drohenden Vertrauensverlust der Finanzmärkte abzuwenden.

Doch die Oppositionsparteien haben längst ihre strategische Chance erkannt. Anders als in früheren Krisenfällen, als Enthaltungen der Sozialisten Bayrous Regierung noch retteten, herrscht diesmal Einigkeit: Die Linkspartei La France insoumise, die Sozialisten wie auch der Rassemblement National wollen geschlossen gegen den Premier und seine Sparpolitik votieren. Mit über 260 Stimmen gegen die Regierung scheint ein Sturz realistischer denn je.

Härte der Opposition

Dass sich politische Kräfte, die sonst in fast allen Fragen unvereinbar erscheinen, zusammenschließen, zeugt von einer seltenen Konstellation. Nicht mehr die Auseinandersetzung um Inhalte dominiert, sondern der Wille, Bayrous Regierungsprojekt zu beenden. Für die Sozialisten bedeutet die Kehrtwende zudem eine Rückkehr in die Opposition ohne taktische Rücksichten auf das Überleben der Regierung. Für Marine Le Pens Rassemblement National wiederum eröffnet sich die Möglichkeit, aus der Schwäche der Exekutive Kapital zu schlagen.

Die Härte dieser Front gegen Bayrou signalisiert, dass die politische Mitte im französischen System kaum noch über Manövriermöglichkeit verfügt. Wo früher Kompromisslinien verlaufen konnten, bleibt heute nur der Block der Opposition, der über ideologische Grenzen hinweg geeint zu sein scheint.

Das Dilemma Macrons

Kommt es wie absehbar zur Niederlage, muss Bayrou seinen Rücktritt einreichen. Präsident Emmanuel Macron hätte dann zwei Optionen: einen Nachfolger ernennen oder die Nationalversammlung erneut aufzulösen. Doch eine Parlamentswahl in der gegenwärtigen Lage birgt für ihn hohe Risiken. Umfragen deuten darauf hin, dass sowohl linke Bündnisse als auch die extreme Rechte von Neuwahlen profitieren könnten. Für Macron wäre dies gleichbedeutend mit einer weiteren Schwächung seines Lagers.

Die Straße als zweite Front

Neben dem parlamentarischen Showdown droht dem Land eine neue Welle der sozialen Mobilisierung. Für den 10. September ist ein Generalstreik angekündigt – nur zwei Tage nach der Vertrauensabstimmung. Die Ablehnung in der Bevölkerung gegenüber Bayrous Sparplan ist überwältigend: 84 Prozent der Franzosen lehnen die Streichung von Feiertagen ab. Damit zeichnet sich ab, dass die Regierung nicht nur im Parlament, sondern auch auf der Straße isoliert ist und mit sehr starkem Gegenwind zu rechnen hat.

Bayrou hat versucht, durch eine ungewöhnlich direkte Kommunikation – etwa über YouTube-Videos – Verständnis für seinen Kurs zu werben. Doch seine Appelle an das Verantwortungsbewusstsein verhallen in einem Klima, in dem das Misstrauen gegenüber der Politik offensichtlich inzwischen zu tief sitzt.

Ein System an der Belastungsgrenze

Die Vertrauensabstimmung wird so zum Kulminationspunkt einer Krise, die weit über Bayrou hinausweist. Das französische Regierungssystem steht vor einer doppelten Zerreißprobe: institutionell, weil der Präsident nach einem möglichen Regierungssturz kaum noch stabile Mehrheiten finden dürfte; gesellschaftlich, weil der Widerstand auf der Straße Reformen weiter blockieren könnte.

Die Opposition mag sich inhaltlich uneins sein – doch sie eint der Wille, die Regierungszeit Bayrous zu beenden. Ob damit aber eine handlungsfähige Alternative entsteht, bleibt offen. Sicher ist nur: Frankreich steuert in eine Phase erhöhter Instabilität, in der Kompromissfähigkeit und politisches Gleichgewicht rarer denn je erscheinen.

Von Andreas Brucker

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