Es war kurz vor Mitternacht, als der Boden bebte.
Ein Erdbeben der Stärke 6,0 erschütterte in der Nacht zum 1. September 2025 die östlichen Provinzen Afghanistans – und hinterließ eine Spur der Verwüstung. Mehr als 620 Menschen haben ihr Leben verloren, über 1.500 wurden verletzt. Ganze Dörfer in den Provinzen Kunar und Nangarhar sind verschwunden, als hätte jemand sie mit einem Radiergummi von der Landkarte gelöscht.
Minuten, die alles veränderten
Das Beben ereignete sich um 23:47 Uhr Ortszeit, nahe der Stadt Jalalabad. Nur acht Kilometer tief lag das Epizentrum – und gerade diese geringe Tiefe machte die Erschütterung so zerstörerisch. In den Distrikten Nur Gul, Soki, Watpur, Manogi und Chapadare stürzten ganze Siedlungen in sich zusammen. Wer dort lebte, hatte kaum eine Chance.
Die Häuser in der Region sind meist einfache Lehm- und Holzbauten. Für den Alltag tauglich, gegen ein Beben aber machtlos. Eine Sekunde stiller Schrecken, dann nur noch Staub, Splitter, Schreie.
Blockierte Straßen, isolierte Dörfer
Auch die Natur selbst stellte sich gegen die Überlebenden. Erdrutsche rissen Straßen weg, machten Täler unzugänglich, schnitten Orte ab, in denen noch immer Menschen unter den Trümmern liegen. Für die Helfer bedeutet das: Zeit verlieren. Zeit, die Menschenleben kostet.
Ein Wettlauf gegen die Stunden
Trotz aller Widrigkeiten laufen die Rettungsarbeiten. Teams aus Kunar, Nangarhar und Kabul sind unterwegs. Helikopter fliegen Verletzte in überfüllte Krankenhäuser. Freiwillige graben mit bloßen Händen nach Verschütteten. Niemand will aufgeben.
Die Taliban-Regierung hat internationale Hilfsorganisationen um Unterstützung gebeten – eine seltene, aber bittere Notwendigkeit. Denn die Wahrheit ist: Afghanistan steht schon lange am Rand des Zusammenbruchs.
Ein Land im Dauerkrisenmodus
Seit Jahren steckt das Land in einer Spirale aus wirtschaftlicher Not, politischen Spannungen und internationaler Isolation. Ausländische Hilfsgelder wurden gestoppt, Sanktionen lähmen die Wirtschaft. Viele Familien leben ohnehin am Existenzminimum. Und nun dieses Erdbeben.
Die Katastrophe wirkt wie ein Brennglas: Sie zeigt die Schwächen des Systems, die Hilflosigkeit der Behörden, die Not der Bevölkerung. Wer ohnehin kaum etwas hatte, hat jetzt gar nichts mehr.
Afghanistan – ein Land zwischen den Platten
Geologisch betrachtet liegt Afghanistan auf einer tickenden Zeitbombe. Hier prallen die Indische und die Eurasische Platte aufeinander, ein Spannungsfeld, das regelmäßig Beben freisetzt.
Im Oktober 2023 kostete ein Erdbeben über 1.400 Menschen das Leben. Im September 2022 waren es Hunderte. Die Serie will nicht abreißen.
Und die Bauweise der Häuser – billig, instabil, ohne erdbebensichere Standards – verstärkt jedes Unglück. Man könnte fast sagen: Nicht die Erde tötet, sondern die schlecht gebauten Wände, die über den Menschen zusammenfallen.
Viele der betroffenen Dörfer liegen abgelegen, zwischen Bergen und Tälern, wo schon in normalen Zeiten Versorgung kaum gesichert ist.
Ohne Hilfe von außen wird es nicht gehen.
Hoffnung trotz Trümmern
Vielleicht liegt in dieser Tragödie die Chance, Afghanistan nicht nur Nothilfe zu bringen, sondern langfristig Strukturen aufzubauen – erdbebensichere Häuser, Frühwarnsysteme, Katastrophenschutz, den Namen auch verdient.
Denn eines ist sicher: Das nächste Beben kommt. Die Frage ist nicht ob, sondern wann.
Und dann muss das Land besser vorbereitet sein. Damit nicht wieder Hunderte unter Lehm und Staub begraben werden.
Von C. Hatty
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