Tag & Nacht




Es klingt wie eine Szene aus einem Film, doch sie spielte sich tatsächlich am Montagabend, dem 15. September 2025, im Himmel über Ajaccio ab. Ein Airbus A320neo von Air Corsica, gestartet in Paris-Orly, kreiste fast eine Stunde über der korsischen Küste – nicht wegen eines technischen Defekts, nicht wegen des Wetters, sondern weil der einzige diensthabende Fluglotse eingeschlafen war.

Der Flughafen im Tiefschlaf

Kurz nach Mitternacht näherte sich das Flugzeug der Landebahn von Ajaccio-Napoléon-Bonaparte. Normalerweise übernehmen in diesem Moment Routine und Präzision die Regie: klare Funksprüche, blinkende Lichter, ein sauberer Anflug. Doch diesmal herrschte Funkstille. Keine Antwort aus dem Tower, keine Landebahnbeleuchtung.

Die Piloten reagierten besonnen. Sie informierten die Flughafenfeuerwehr, die wiederum die Gendarmerie einschaltete. Währenddessen drehte die Maschine Schleifen über dem Golf von Ajaccio. Ein Ausweichflug nach Bastia stand kurzzeitig zur Debatte. Erst um 0.35 Uhr konnte das Flugzeug schließlich landen – nachdem der eingeschlafene Lotse wieder zu sich gekommen war und die Systeme hochgefahren hatte.

Ein Einzelfall? Wohl kaum.

Solche Zwischenfälle sind zwar selten, aber sie decken Schwachstellen auf, die vielen Insidern längst bekannt sind. Denn nachts ist in kleineren Flughäfen oft nur ein einziger Lotse im Dienst. Gerät dieser in eine Notlage – oder fällt in den Schlaf –, bleibt das System ohne Aufsicht.

Dabei schreibt die französische Luftfahrtaufsicht (DGAC) eigentlich Redundanz vor: mindestens zwei Personen, die einander absichern. Besonders nachts, wenn die Pistenbeleuchtung und eine klare Kommunikation über Leben und Tod entscheiden können. Dass Ajaccio mit einer Minimalbesetzung arbeitet, zeigt, wie stark Personalfragen längst zum Sicherheitsrisiko geworden sind.

Müdigkeit als unterschätzter Gegner

Offizielle Tests ergaben, dass der Lotse weder unter Alkohol- noch unter Drogeneinfluss stand. Die Ursache war banal – Müdigkeit. Wer einmal nachts selbst im Auto fast eingeschlafen ist, weiß, wie gnadenlos der Körper manchmal abschaltet. In einer Branche, die absolute Wachsamkeit verlangt, wird das schnell zur tickenden Zeitbombe.

Kontrollierte Schichtpläne, gesundheitliche Checks, Pausenregelungen – all das existiert längst. Aber die Realität sieht oft anders aus. Viele Lotsen berichten, dass der Druck hoch, die Personaldecke dünn und die Nachtschichten hart sind. „Wir haben immer ein bisschen Angst vor der nächsten Nachtschicht“, gestand ein Kollege gegenüber einem Radiosender.

Ein Schlag für das Vertrauen

Die Sicherheit in der Luftfahrt lebt von Vertrauen. Passagiere steigen ins Flugzeug mit der stillschweigenden Gewissheit: Hier oben ist jeder Handgriff durchdacht, jedes Risiko minimiert. Wenn dann bekannt wird, dass ein Flugzeug beinahe umgeleitet werden musste, weil der Lotse eingeschlafen war, gerät dieses Vertrauen ins Wanken.

Und die Frage drängt sich auf: Was, wenn das Flugzeug wirklich nach Bastia hätte ausweichen müssen? Was, wenn schlechtes Wetter oder ein technisches Problem gleichzeitig hinzugekommen wäre?

Lehren für die Zukunft

Dieses Ereignis ist mehr als ein peinlicher Zwischenfall – es ist ein Weckruf. Für die Flughafenbetreiber, die ihre Nachtdienste neu organisieren müssen. Für die Aufsichtsbehörden, die stärker kontrollieren sollten, ob die Vorschriften tatsächlich eingehalten werden. Und für die Politik, die sich fragen lassen muss, warum sicherheitsrelevante Positionen oft am Limit besetzt sind.

Denn eines ist klar: Sicherheit darf nicht von der Belastbarkeit einer einzelnen Person abhängen. Ein Flughafen im Schlafmodus passt nicht ins 21. Jahrhundert.

Von C. Hatty

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