Am Morgen des 24. September 2025 geschah im Osten von Paris eine Tat, die die Stadt erneut ins Mark trifft. Eine Frau von etwa 60 Jahren wurde im Passage des Tourelles, einem unscheinbaren Durchgang im 20. Arrondissement, leblos aufgefunden. Getötet mit einem Messer, brutal zugerichtet, wie die ersten Ermittlungen bestätigen.
Der mutmaßliche Täter? Ihr Ehemann, gleichaltrig, der selbst zum Telefon griff und die Polizei rief, um die Tat zu gestehen. Kaum waren die Einsatzkräfte vor Ort, wurde er festgenommen, medizinisch untersucht und einem psychologischen Gutachten unterzogen. Der Fall liegt nun beim 2. Pariser Polizeidistrikt, eingestuft als „Tötung durch den Ehepartner“.
Ein neues Kapitel in einer langen, traurigen Liste
Wer sich mit den Zahlen der letzten Jahre befasst, spürt sofort die bittere Dimension dieses Falls. Es handelt sich nicht um eine „Familientragödie“, nicht um einen Einzelfall, sondern um ein weiteres Puzzlestück in einem erschreckenden Gesamtbild: Femizide – Morde an Frauen durch (Ex-)Partner.
Allein die nüchterne Tatsache, dass der Mann die Polizei selbst informierte, verändert die Dimension nicht. Vielmehr wirft sie neue Fragen auf. War es Schuld, Reue oder schlicht das Ende einer Eskalation, die keinen anderen Ausweg mehr zuließ?
Zwischen Affekt und Planung
Die Justiz wird prüfen, ob es sich um einen spontanen, impulsiven Ausbruch gehandelt hat oder ob eine stille Planung dahintersteckte. Der psychische Zustand des Ehemanns wird entscheidend sein. Psychiater sollen herausfinden, ob er schuldfähig ist, ob er versucht, sich hinter einer angeblichen „psychischen Krise“ zu verstecken.
Dass Täter nach der Tat selbst anrufen, ist selten, aber nicht unbekannt. Manche tun es aus Schuldbewusstsein, andere, um Kontrolle zu behalten – über die Geschichte, die erzählt wird, und über die Deutung ihres Handelns.
Das Echo in der Öffentlichkeit
Solche Fälle finden fast immer breite mediale Resonanz. Einerseits zu Recht: Jeder Femizid macht sichtbar, was sonst im Verborgenen geschieht. Andererseits lauert die Gefahr der Sensationslust. Wenn Schlagzeilen nur das Grauen betonen – Messerstiche, Blut, Entsetzen – verliert man den Blick für das Wesentliche: die Strukturen dahinter.
Denn Femizide sind kein Zufall, sie haben Wurzeln. In Rollenbildern, in Machtgefällen, in einem System, das Warnsignale zu oft überhört. Wer nur das Verbrechen schildert, aber nicht die Ursachen thematisiert, greift zu kurz.
Offene Fragen
Noch fehlen entscheidende Informationen.
Gab es zuvor Anzeigen, Hinweise, Streitigkeiten, die hätten ernst genommen werden müssen?
Welche Dynamik führte zu dieser Eskalation – eine Trennung, Eifersucht, langjährige Gewalt?
Und welche Rolle wird das psychiatrische Gutachten für die rechtliche Einordnung spielen?
Jenseits des „schockierenden Einzelfalls“
So schwer es fällt: Wer nur auf diesen Mittwochmorgen starrt, verpasst die größere Wahrheit. Jeder Femizid zeigt, dass bestehende Schutzmechanismen Lücken haben. Notrufnummern, Schutzwohnungen, Kontaktverbote, Polizeiarbeit – vieles existiert, vieles funktioniert, doch offensichtlich nicht immer.
Die Tat in der Passage des Tourelles mahnt, genauer hinzusehen: Wie effektiv greifen die einzelnen Bausteine ineinander? Welche Schnittstellen versagen? Und wie kann es sein, dass Gewalt gegen Frauen noch immer zu oft im Verborgenen bleibt, bis es zu spät ist?
Zwischen Rechtsprechung und politischer Verantwortung
Die Justiz wird nun akribisch prüfen: Mord oder Totschlag? Schuldfähig oder nicht? Doch während die Juristen Definitionen wägen, bleibt die gesellschaftliche Aufgabe bestehen. Jeder neue Femizid ist ein Versagen – nicht nur eines Einzelnen, sondern eines Systems, das Prävention noch nicht konsequent genug umsetzt.
Denn letztlich geht es nicht nur um eine Tat in einer Pariser Gasse. Es geht um die Frage: Wie viele Frauen müssen noch sterben, bevor Schutz nicht Ausnahme, sondern Selbstverständlichkeit ist?
Autor: C.H.
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