Gesundheit beginnt im Mund. Dieser alte Satz klingt banal, trifft aber den Kern: Wer seine Zähne vernachlässigt, gefährdet nicht nur sein Lächeln, sondern seine gesamte körperliche Verfassung. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Atemwegserkrankungen – die Liste der medizinischen Komplikationen, die in engem Zusammenhang mit schlechter Mundhygiene stehen, ist lang. Am „Tag der Zahngesundheit“ lohnt es sich, genauer hinzusehen: auf das individuelle Schicksal, aber auch auf die gesellschaftliche Dimension, die oft unterschätzt wird.
Deutschland und Frankreich, zwei Länder mit vergleichbar hohem Lebensstandard, zeigen im Umgang mit Zahngesundheit bemerkenswerte Unterschiede – und erstaunliche Parallelen.
In Deutschland gilt die Zahnprophylaxe als eine der großen Erfolgsgeschichten des Gesundheitswesens. Seit Jahrzehnten werden Kinder frühzeitig an Kontrolluntersuchungen, Fluoridbehandlungen und Fissurenversiegelungen herangeführt. Das Ergebnis: Die Karieshäufigkeit bei Schulkindern hat sich in den letzten dreißig Jahren mehr als halbiert. Doch dieser Fortschritt ist brüchig. Erwachsene nehmen Kontrolltermine seltener wahr, und gerade in sozioökonomisch schwächeren Schichten entstehen große Lücken in der Vorsorge. Der Griff zur elektrischen Zahnbürste ist eben keine Frage des Wissens, sondern oft eine Frage der Lebensrealität.
Frankreich dagegen hat ein anderes System etabliert: Regelmäßige kostenlose Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und Jugendliche werden staatlich finanziert. Seit einigen Jahren werden zudem Eltern gezielt angesprochen, um ihnen die Wichtigkeit von Früherkennung nahezubringen. Trotzdem bleibt der Zahnarztbesuch für viele Erwachsene ein Kostenfaktor. In ländlichen Regionen kommt erschwerend hinzu, dass die Dichte an Zahnärzten sinkt. Wer im Département Creuse oder in der Bretagne lebt, fährt nicht selten eine Stunde zum nächsten Zahnarzt.
Und was bedeutet das alles volkswirtschaftlich? Zahnkrankheiten gehören zu den teuersten chronischen Leiden überhaupt. In Deutschland fließen jährlich rund 17 Milliarden Euro in zahnmedizinische Behandlungen. Dazu kommen Folgekosten: Arbeitsausfälle, teure Krankenhausaufenthalte aufgrund entzündlicher Zahnerkrankungen, Operationsrisiken bei Herzpatienten, die durch bakterielle Zahninfektionen steigen. Frankreich verzeichnet ähnliche Belastungen. Dort schätzt man, dass rund ein Drittel aller Erwachsenen unter Zahnfleischerkrankungen leidet – Erkrankungen, die unbehandelt das Risiko für systemische Krankheiten massiv erhöhen.
Die Gesellschaft zahlt also doppelt: einmal direkt, über die Behandlungskosten, und ein zweites Mal indirekt, über verlorene Arbeitskraft und reduzierte Lebensqualität. Wer schon einmal mit pochendem Zahn im Büro saß, weiß, dass Produktivität dann zur Farce wird.
Dabei ist die Lösung vergleichsweise simpel: Prävention. Regelmäßige Kontrolltermine, bessere Aufklärung in Schulen, ein konsequenter Ausbau der Vorsorgeprogramme – das alles kostet weit weniger als die aufwendige Behandlung zerstörter Zähne oder die Folgen chronischer Zahnfleischentzündungen. Und es wirkt. Studien zeigen, dass jeder Euro, der in Prävention investiert wird, ein Mehrfaches an Behandlungskosten spart.
Warum also ist Zahngesundheit im politischen Diskurs immer noch ein Randthema? Vielleicht, weil kranke Zähne unsichtbar sind. Man sieht das Loch im Backenzahn nicht auf den ersten Blick, und Zahnschmerzen lassen sich mit Schmerztabletten für ein paar Stunden betäuben. Doch wie lange kann sich eine Gesellschaft den Luxus leisten, das Offensichtliche zu verdrängen?
Ein gesunder Mund ist mehr als ein ästhetisches Detail. Er ist Teil des Allgemeinwohls. Frankreich und Deutschland stehen vor der gleichen Aufgabe: die Kluft zwischen medizinischem Fortschritt und sozialer Realität zu schließen. Damit das Lächeln nicht zum Luxusgut verkommt, sondern ein Stück Alltagsnormalität bleibt.
Von C. Hatty
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