Tag & Nacht




Wem sollen wir noch trauen? Etwa der Politik? Haha… – der Lacher des Jahres. Leider bleibt einem das Lachen im Hals stecken, wenn man sich anschaut, wie tief der Graben inzwischen ist, der sich zwischen denen da oben und uns hier unten auftut.

74 Prozent der Französinnen und Franzosen vertrauen der Nationalversammlung nicht. 86 Prozent winken bei „Parteien“ nur noch müde ab. Und wer jetzt denkt, das ist eine Momentaufnahme – weit gefehlt. Das ist keine kurze Krise, das ist eine Erosion im Fundament unserer Demokratie. Und zwar eine, die nicht mehr mit ein paar warmen Worten oder PR-Kampagnen zu kitten ist.

Denn Vertrauen ist kein Gesetz. Kein Erlass. Kein Präsidentenwort.

Vertrauen entsteht nicht durch große Reden – sondern durch kleine Taten. Durch Integrität. Durch Ehrlichkeit. Und, ja, durch Konsequenz.

Aber was sehen wir stattdessen? Postengeschacher, Lobby-Verfilzung, Politiker, die nach der Amtszeit in Vorstandspositionen wechseln, und Minister, die eher wie PR-Berater in eigener Sache wirken. Wer will da bitte noch glauben, dass es hier um das Gemeinwohl geht?

Es ist ein Trauerspiel mit sehr berechenbarem Plot: Die Bevölkerung glaubt an den Niedergang – 87 Prozent empfinden Frankreich als Land im Abstieg. Ein Drittel davon sieht diesen Prozess sogar als irreversibel. Hoppla! Das ist nicht nur schlechte Laune, das ist kollektiver Vertrauensverlust auf einem Level, das früher ganze Regime ins Wanken brachte.

Und was ist die Antwort der Politik? „Mehr Transparenz! Mehr Bürgerbeteiligung! Mehr Effizienz!“ – Klingt super. Echt jetzt. Aber ehrlich: Wer glaubt das noch?

Als ob man jahrelanges Desinteresse und Machtarroganz einfach wegzaubern kann mit einer Bürger*innenversammlung oder einem hübsch designten Online-Portal.

Natürlich: Es gibt kluge Konzepte. Es gibt engagierte Leute. Es gibt Ideen, wie man Vertrauen zurückholen könnte.

Aber: Vertrauen zurückholen heißt nicht, es zu fordern. Es heißt, es sich zu verdienen. Und das bedeutet: Macht abgeben. Verantwortung übernehmen. Fehler zugeben. Und nicht zuletzt: Menschen zuhören, ohne sie zu belehren.

Aber genau hier liegt das Problem. Wer an der Macht ist, klammert sich daran. Weil Macht bequem ist. Weil Macht schützt. Und weil Macht selten freiwillig geteilt wird.

Und so bleibt das Misstrauen. Es nistet sich ein. In Gesprächen am Küchentisch. In mitleidigen Blicken auf Wahlplakate. In ironischen Kommentaren unter Nachrichtenvideos. Vertrauen? Ja, klar – und Einhörner gibt’s auch.

Aber: Die Politik hat noch eine letzte Chance. Wenn sie wirklich aufmacht. Wenn sie wirklich aufhört, Macht als Besitz zu begreifen. Wenn sie wirklich anfängt, den Menschen etwas zurückzugeben, das sie sich nicht mehr vorstellen können: Ehrlichkeit.

Denn sonst kommt der große Knall. Vielleicht nicht morgen. Vielleicht nicht übermorgen. Aber er kommt. Populismus, Radikalisierung, Wahlverweigerung – all das sind keine Symptome. Sie sind das Fieber. Und das Fieber zeigt an: Die Demokratie ist krank.

Will sie genesen, muss sie sich ändern.

Nicht irgendwann.

Jetzt.

Ein Kommentar von Andreas M. Brucker

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