Frankreich taumelt. Und Emmanuel Macron schaut zu.
Während das politische Paris in Flammen steht – institutionell, moralisch, demokratisch – klammert sich der Élysée an ein Phantom: Stabilität. Mit der Ernennung Sébastien Lecornus zum Premierminister und Wiedereinsetzung fast aller bisheriger Minister in ihre angestammten Ämter hat Macron keinen Aufbruch gewagt, sondern eine Bankrotterklärung unterschrieben. Keine Vision, keine Linie, kein Mut. Nur Taktik, nur Machterhalt. Ein „Weiter so“ in seiner erschlafften Reinform.
Doch ein „Weiter so“ hat uns noch nie nach vorne gebracht, Herr Macron.
Die Franzosen haben den politischen Verschleiß satt. Sie haben genug von gesichtslosen Technokraten, von inszenierten Kabinetten ohne Herzschlag. Lecornu? Ein loyaler Verwalter, vielleicht. Aber kein Mann der Stunde. Nicht inmitten der schwersten Legitimitätskrise der Fünften Republik seit 1958. Nicht in einem Land, in dem jeder zweite Wähler inzwischen radikal wählt – aus Wut, aus Angst oder aus Ohnmacht.
Die Demokratie steht auf dem Spiel. Und der Präsident spielt Mikado.
Was Macron in diesen Wochen präsentiert, ist eine Reproduktion seiner alten Fehler: Personalpolitik als politische Alibihandlung. Reformrhetorik ohne Substanz. Dialogangebote, die wie Drohungen klingen. Er lässt einen Premier auftreten, der das Renten-Thema umschifft, die soziale Frage weichzeichnet und den zentralen Nerv der Zeit – die Spaltung zwischen Zentrum und Peripherie – nicht einmal benennt. Lecornu spricht von Zusammenhalt, während ihm das Fundament zerbröselt.
Die Franzosen brauchen keinen Verwaltungsdirektor im Matignon – sie brauchen eine Regierung mit Haltung. Mit Courage. Mit einer Antwort auf das wachsende Misstrauen gegenüber den Institutionen.
Macron hätte ein Zeichen setzen können. Stattdessen wählte er die Sicherungskopie seiner selbst.
Die Entscheidung für Lecornu und des „neuen“ Kabinetts ist ein Schlag ins Gesicht derer, die noch an die Erneuerung der Republik glaubten. Sie zeigt, dass Macron entweder nicht mehr versteht, was im Land vor sich geht – oder es ihm schlicht egal ist. Beides wäre fatal. Denn der nächste politische Unfall lauert bereits: Eine erfolgreiche Misstrauensabstimmung. Eine Implosion der Mehrheitsbasis. Oder – und das ist das gefährlichste Szenario – der endgültige Triumph des Rassemblement National bei Neuwahlen.
Wer heute in Frankreich auf die Straße geht, ruft nicht mehr nach Reformen. Er ruft nach Abrechnung.
Macron hat noch eine letzte Chance. Aber dafür müsste er tun, was ihm zutiefst widerstrebt: Macht abgeben. Verantwortung teilen. Ehrlich kommunizieren. Und endlich aufhören, sein Land wie ein Start-up zu führen – und beginnen, es wie eine Demokratie zu behandeln.
Ein „Weiter so“ war nie der Weg in die Zukunft. Sondern der direkte Weg ins politische Vakuum.
Frankreich braucht keine Beruhigungstabletten. Es braucht einen Schock. Einen ehrlichen Neuanfang. Alles andere ist Selbstbetrug.
Ein Kommentar von Andreas M. Brucker
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