Donnerstag, 23. Oktober – ein Datum, das viele Pendlerinnen und Reisende in Frankreich wohl so schnell nicht vergessen werden. Die „Tempête Benjamin“ fegt mit bis zu 130 km/h über das Land, und die SNCF zieht die Notbremse: Zahlreiche Züge bleiben im Westen und Norden des Landes in den Bahnhöfen stehen. Sicherheit geht vor – doch die Nerven vieler Fahrgäste werden auf die Probe gestellt.
Ein Donnerstagmorgen an der Pariser Gare Montparnasse. Zwischen rollenden Koffern und ungeduldigen Blicken steht ein Mann, der regelmäßig zwischen Paris und Tours pendelt. Seine Stimme klingt erstaunlich gelassen: „Ich versuche, das mit Philosophie zu nehmen. Man kann ja nichts dagegen tun. Mit dem Auto wäre es schlimmer – also bleibe ich eben im Zug, bis es wieder weitergeht.“ Ein Satz, der das Gefühl vieler Reisender auf den Punkt bringt: Ohnmacht, gepaart mit pragmatischer Ruhe.
Stillstand auf den Schienen
Die SNCF hat vorsorglich weitreichende Einschränkungen angekündigt. Besonders betroffen sind die Regionen Hauts-de-France, Normandie, Bretagne, Pays de la Loire, Centre-Val de Loire und Nouvelle-Aquitaine – im Grunde also ein Großteil der westlichen und nördlichen Landeshälfte.
In der Bretagne etwa fallen am Donnerstag zahlreiche Regionalverbindungen (TER) komplett aus – darunter auch die stark frequentierte Strecke Rennes–Nantes, die täglich Tausende Pendler nutzen. In der Nouvelle-Aquitaine wiederum gilt auf den Hauptverbindungen Bordeaux–Poitiers und Paris–Orléans–Limoges–Toulouse eine Geschwindigkeitsbegrenzung, um mögliche Schäden durch umgestürzte Äste oder Trümmer zu vermeiden.
Im Norden Frankreichs ist die Situation noch drastischer: Die Strecke Saint-Paul–Arras wird vollständig stillgelegt. Wer hier unterwegs ist, muss improvisieren. „Wenn mein Zug gestrichen wird, fahre ich mit dem Auto – in der Hoffnung, dass die Straßen nicht auch gesperrt sind“, sagt ein anderer Fahrgast. Eine Frau dagegen steht ratlos am Bahnsteig: „Ich weiß gar nicht, wie ich jetzt nach Paris kommen soll – und von dort weiter nach Poitiers.“
TGVs rollen – aber mit angezogener Handbremse
Bei den Hochgeschwindigkeitszügen (TGV) gibt es vorerst keine flächendeckenden Streichungen. Doch auch hier mahnt die SNCF zur Vorsicht: Verspätungen und kurzfristige Anpassungen seien jederzeit möglich, abhängig davon, wie sich die Lage in den kommenden Stunden entwickelt. Bei Windgeschwindigkeiten von über 120 km/h kann bereits ein herabfallender Ast oder ein loser Gegenstand auf der Strecke den Verkehr zum Erliegen bringen.
Wer am Donnerstag reisen muss, sollte also mit Geduld, warmer Kleidung – und vielleicht einem guten Buch – ausgestattet sein.
Zwischen Vorsicht und Frust
Die Entscheidung der SNCF, den Zugverkehr einzuschränken, stößt auf gemischte Reaktionen. Viele verstehen das Sicherheitsargument – andere verweisen auf die wirtschaftlichen und organisatorischen Folgen. Pendler, Geschäftsreisende, Studierende – sie alle müssen kurzfristig umplanen.
Doch die Bahngesellschaft steht vor einem Dilemma: Bei früheren Stürmen hatten umgestürzte Bäume und beschädigte Oberleitungen den Verkehr teils tagelang lahmgelegt. Ein vorsorglicher Stillstand soll nun genau das verhindern.
„Lieber einen Tag Stillstand als drei Tage Chaos“, hört man einen SNCF-Mitarbeiter murmeln, während er Anzeigetafeln umstellt und verwirrten Reisenden Auskunft gibt.
Wenn der Wind stärker weht als die Planung
Die „Tempête Benjamin“ zeigt einmal mehr, wie verletzlich das französische Verkehrsnetz gegenüber extremen Wetterlagen ist. Zwar wurden in den vergangenen Jahren Gleise, Stromleitungen und Sicherungssysteme modernisiert, doch gegen Sturmböen dieser Stärke hilft selbst modernste Technik nur begrenzt.
Meteorologen warnen: Die Kombination aus starkem Wind, Regen und aufgeweichten Böden wird regional auch den Straßenverkehr beeinträchtigen. Schon jetzt sind in Teilen der Bretagne und Normandie Bäume umgestürzt, Stromleitungen beschädigt und kleinere Straßen gesperrt.
Die SNCF bittet Reisende, vor Fahrtantritt die SNCF-App oder -Website zu prüfen und nicht unbedingt notwendige Reisen zu verschieben.
Ein Land hält kurz den Atem an
Wie lange die Einschränkungen dauern, hängt von der weiteren Entwicklung des Sturms ab. Erfahrungsgemäß dauert es nach solchen Ereignissen Stunden, manchmal auch Tage, bis der Betrieb wieder stabil läuft.
Frankreich hat sich an Stürme gewöhnt – Namen wie „Ciaran“ oder „Domingos“ sind noch in Erinnerung. Doch jede neue Tempête bringt ihre eigene Dynamik, ihren eigenen Druck auf das Land. Und vielleicht auch ein bisschen Demut vor den Kräften der Natur.
Autor: Andreas M. Brucker
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