Tag & Nacht


Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit – und gegen die Temperaturkurve.

Vier Tage vor dem Start der UN-Klimakonferenz COP30 im brasilianischen Belém hat die Umweltorganisation Les Amis de la Terre einen Bericht veröffentlicht, der Frankreichs Großstädten den fossilen Spiegel vorhält. Darin offenbart sich: Selbst in einem Land, das sich als Vorreiter des ökologischen Wandels versteht, ist die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern – insbesondere Erdgas – nach wie vor erschreckend hoch.

Und es sind nicht etwa die Metropolen Paris oder Lyon, die am meisten Gas verbrauchen. Es sind Amiens, Reims und Strasbourg – drei Städte, die sich nicht nur durch charmante Altstädte und kalte Winter auszeichnen, sondern auch durch besonders hohe Pro-Kopf-Ausgaben für Gas.

Ein Ranking, das aufrüttelt

470 bis 600 Euro pro Jahr und Einwohner – so viel zahlen Menschen in den drei Spitzenreitern durchschnittlich für Gas. Das ist dreimal mehr als in Städten wie Grenoble, Perpignan oder Toulon. Die Gründe? Eine Mischung aus Wohnstruktur, veralteter Heiztechnik und industrieller Nutzung. Denn was hier verheizt wird, geht nicht nur in private Heizkessel. Auch Büros, Rathäuser, Schwimmbäder, Bibliotheken und ganze Industriezweige hängen am Gasnetz.

Anna-Lena Rebaud, Sprecherin von Les Amis de la Terre, bringt es auf den Punkt: „Es geht nicht nur um die Wohnungen. Auch der öffentliche Sektor und die Industrie haben einen immensen Anteil an diesem Verbrauch.“

Gas: Sauberer als Kohle, aber nicht harmlos

Oft wird Gas als das „kleinere Übel“ gegenüber Kohle und Öl dargestellt – mit einem Hauch von Nachhaltigkeit, weil es beim Verbrennen weniger CO₂ ausstößt. Doch das greift zu kurz.

Denn entlang der gesamten Förder- und Transportkette entweicht Methan – ein Klimakiller, der 80-mal klimaschädlicher ist als Kohlendioxid. Und Methanlecks sind keine Randnotiz. Sie passieren bei Bohrungen, bei der Lagerung und auf dem Weg durch Pipelines. So wird aus dem vermeintlich sauberen Gas schnell ein echter Klimasünder.

Dazu kommt die geopolitische Abhängigkeit: Frankreich importiert 98 Prozent seines Gases – unter anderem aus Russland und den USA. Energieautarkie sieht anders aus.

Das Klima entscheidet sich nicht nur auf Weltgipfeln

Natürlich blicken viele dieser Tage nach Brasilien, wo sich ab Montag Staats- und Regierungschefs zur COP30 versammeln. Doch der aktuelle Report erinnert daran, dass Klimaschutz nicht nur auf diplomatischen Bühnen stattfindet, sondern auch auf kommunaler Ebene.

Wer heute durch die Straßen von Strasbourg schlendert, mag sich schwer vorstellen, dass genau hier – zwischen mittelalterlichen Fachwerkhäusern – das Klima so stark belastet wird. Doch genau dort liegt ein Hebel für Veränderung. Denn Städte können handeln: durch energetische Sanierungen, durch den Ausbau von Nahwärmenetzen, durch eine Abkehr von Gasheizungen in öffentlichen Gebäuden.

Das ist keine ferne Utopie – das ist machbare Politik.

Vom industriellen Erbe zur ökologischen Wende

Viele französische Städte tragen bis heute die Last ihrer industriellen Vergangenheit. Gasleitungen aus den 1960ern, schlecht isolierte Plattenbauten aus den 1970ern, ein Energiemix, der jahrzehntelang auf Bequemlichkeit statt Nachhaltigkeit setzte.

Doch was wäre, wenn genau diese Städte zur Speerspitze der ökologischen Erneuerung würden?

Wenn in Amiens nicht nur der berühmte gotische Dom, sondern auch modernste Wärmepumpen für Aufsehen sorgen würden? Wenn in Reims, wo man bisher nur vom Champagner spricht, bald Sonnenkollektoren die Dächer zierten? Wenn Strasbourg, als europäische Hauptstadt, auch energetisch Maßstäbe setzte?

Der CO₂-Fußabdruck beginnt vor der Haustür

Seit dem 19. Jahrhundert hat sich die durchschnittliche Temperatur der Erde um über 1,1 °C erhöht. Das klingt nach wenig – ist aber ein Erdrutsch. Ein Erdrutsch, der Gletscher schmelzen lässt, Küstenstädte bedroht und landwirtschaftliche Erträge gefährdet. Und: Er ist menschengemacht. Durch unser Konsumverhalten. Durch den Fleischkonsum. Und eben auch durch Heizsysteme in unseren Städten.

Das Gute daran? Alles davon ist veränderbar.

Wie weiter – und wer zuerst?

Rhetorische Frage: Wieso warten, bis sich alle anderen bewegen?

Städte wie Amiens, Reims und Strasbourg könnten Vorreiter werden – gerade weil sie aktuell auf der falschen Liste ganz oben stehen. Mit gezielten Investitionen, mutigen Entscheidungen und dem politischen Willen zur Wende. Die Technologien existieren. Die Erkenntnisse sowieso. Was fehlt, ist das Tun.

Und das beginnt nicht in Belém, sondern direkt vor Ort – mit jedem schlecht isolierten Klassenzimmer, jeder Gastherme in der Amtsstube, jedem Stadtrat, der sich nicht entscheidet.

Autor: C.H.

Neues E-Book bei Nachrichten.fr







Du möchtest immer die neuesten Nachrichten aus Frankreich?
Abonniere einfach den Newsletter unserer Chefredaktion!