Zehn Jahre nach dem Pariser Klimaabkommen trifft sich die Weltgemeinschaft erneut, diesmal im Herzen Amazoniens, in Belém. Eine Stadt, in der das Rauschen der Flüsse und das Summen der Insekten mit den hitzigen Debatten der Menschheit verschmelzen. Unter dem feuchten Himmel des Nordostens Brasiliens soll entschieden werden, ob die großen Versprechen von Paris mehr waren als nur gut gemeinte Worte.
„Nous nous trouvons à un moment décisif“, hatte Antonio Guterres, der UN-Generalsekretär, mahnend gesagt – ein Moment der Wahrheit. Und tatsächlich: Was auf der COP30 geschieht, wird zeigen, ob die globale Klimapolitik noch die Kurve bekommt oder endgültig im Dickicht der Interessen stecken bleibt.
Ein Jahrzehnt nach Paris – die bittere Zwischenbilanz
Als 2015 in Paris das historische Klimaabkommen unterzeichnet wurde, lag eine fast euphorische Aufbruchsstimmung in der Luft. 198 Staaten hatten sich verpflichtet, die Erderwärmung auf höchstens 1,5 Grad zu begrenzen – ein hehres Ziel, fast poetisch in seiner Einfachheit. Doch nun, zehn Jahre später, zeigt sich, wie schwer es ist, diesem Versprechen Leben einzuhauchen.
Nur etwas mehr als die Hälfte der Länder hat rechtzeitig neue Klimapläne vorgelegt, die sogenannten „Nationally Determined Contributions“. Und von diesen sind, laut Climate Tracker, lediglich zwei – Norwegen und das Vereinigte Königreich – wirklich kompatibel mit der Pariser Zielvorgabe. Ein ernüchterndes Ergebnis.
Währenddessen steigen die Emissionen weiter. 55 Milliarden Tonnen CO₂-Äquivalente wurden 2023 ausgestoßen, ein neuer Rekord. Der Planet, so sagen Forscher, „fiebert“, und das Thermometer klettert unaufhörlich nach oben.
Ist das Ziel von 1,5 Grad also schon verloren? Antonio Guterres glaubt, dass es „am Abgrund steht“. Doch vielleicht ist gerade das der Ansporn, es nicht einfach fallen zu lassen.
Europa – ehrgeizig auf dem Papier, zögerlich in der Tat
In Europa ringt man derweil mit sich selbst. Deutschland bremst beim Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor, Norwegen winkt Bergbauprojekte auf dem Meeresgrund durch, und Frankreich – Hüterin des Pariser Geistes – gilt selbst als zögerlich.
Laurence Tubiana, eine der Architektinnen des Abkommens, gibt sich diplomatisch: „Man darf den Prozess beklagen, aber das Ergebnis feiern.“ Ein Satz, der klingt wie das Motto vieler Klimaverhandlungen – komplizierte Kompromisse, schön verpackt in große Worte.
Das jüngste EU-Klimapaket gilt als ambitioniert, doch es kam spät zustande, nach langen, zermürbenden Verhandlungen. Glaubwürdigkeit? Ein rares Gut, wenn die eigenen Ziele unter dem Druck nationaler Interessen verwässern.
Vom Reden zum Handeln – die Frage des Geldes
„Assez parlé, maintenant il faut agir!“ rief Brasiliens Präsident Lula vor dem Gipfel. Recht hat er. Denn was nützen neue Ziele, wenn die bisherigen kaum umgesetzt sind?
Die Länder des globalen Südens fordern endlich Taten – und Geld. 300 Milliarden Dollar jährlich bis 2035 sollen die reichen Staaten bereitstellen, beschlossen bei der COP29 in Aserbaidschan. Doch bislang bleibt das meiste davon ein Versprechen auf Papier.
Frankreich etwa verteilt seine Mittel überwiegend in Form von Krediten. Das mag großzügig klingen, doch es verstärkt die Schuldenlast vieler armer Länder. Wie soll ein Staat in Westafrika in Solaranlagen investieren, wenn er gleichzeitig alte Kredite tilgen muss?
Gaïa Febvre vom Réseau Action Climat bringt es auf den Punkt: „Wenn die Länder ihre Schulden bedienen müssen, bleibt kein Geld für Klima, Bildung oder Gesundheit.“ Ein Teufelskreis – und einer, der die Glaubwürdigkeit der reichen Nationen massiv beschädigt.
Gleichzeitig geistert eine gewaltige Zahl durch die Verhandlungsräume: 1.300 Milliarden Dollar. So viel, sagen die Entwicklungsländer, braucht die Welt jährlich für den Wandel zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Gigantisch? Sicher. Aber wie viel kostet Untätigkeit?
Stimmen aus dem Regenwald
Dass die COP30 ausgerechnet in Belém stattfindet, ist kein Zufall. Die Amazonasregion ist ein Sinnbild für das, was auf dem Spiel steht – und für jene, die oft übersehen werden: die indigenen Völker.
Ihre Stimmen sind leise, doch ihre Botschaft ist laut: „Wir schützen den Wald, also schützt auch uns.“ Sie sind es, die seit Jahrhunderten im Einklang mit der Natur leben, deren Wissen über Pflanzen, Böden und Wasserläufe unbezahlbar ist.
Die brasilianische Regierung hat versprochen, ihnen auf der COP eine größere Bühne zu geben. Ob sie gehört werden, steht auf einem anderen Blatt. Aber ohne sie, da sind sich Experten einig, lässt sich die Klimakrise nicht lösen.
Manche nennen sie die „Hüter des Planeten“. Vielleicht ist es an der Zeit, ihnen zuzuhören, statt sie als Folklore abzutun.
Methan – der übersehene Riese
Während alle auf CO₂ starren, schleicht sich ein anderer Übeltäter durchs Treibhaus: Methan. Dreißigmal klimaschädlicher als Kohlendioxid, aber seltener in den Schlagzeilen. Es entweicht aus Lecks in Gaspipelines, aus Rinderherden, aus Reisanbau und Müllhalden.
Hundert Staaten haben 2021 versprochen, ihre Methanemissionen deutlich zu senken. Doch seither? Viel Gerede, wenig Veränderung. Einige Länder wie Neuseeland rudern sogar zurück.
Ana Toni, die Chefin der COP30, kündigte an, das Thema ins Zentrum der Gespräche zu rücken. Wird sie Erfolg haben? Schwer zu sagen. Methan ist ein komplizierter Gegner – unsichtbar, flüchtig und oft wirtschaftlich unbequem. Aber: Wer es schafft, hier Fortschritte zu erzielen, könnte tatsächlich „ein paar Zehntelgrade gewinnen“, wie Laurent Fabius betont.
Und in einer Welt, die zwischen 1,3 und 1,5 Grad Erwärmung schwankt, zählt jedes Zehntel.
Belém – Hoffnung zwischen Fluss und Feuer
In Belém mischt sich tropische Hitze mit politischer Spannung. Zwischen den Verhandlungsräumen rauscht der Amazonas, als wolle er selbst ein Wörtchen mitreden. Draußen demonstrieren indigene Aktivistinnen mit bunt bemalten Gesichtern, drinnen verhandeln Diplomaten über Milliardenbeträge und Zehntelgrade.
Eine surreale Kulisse, fast filmreif – und doch spiegelt sie die Realität unserer Zeit.
Wird die COP30 die Wende bringen? Oder reiht sie sich ein in die Liste der verpassten Chancen? Niemand weiß es. Aber vielleicht liegt in diesem Zweifel selbst eine Art Hoffnung: dass der Wille, es diesmal besser zu machen, stärker ist als die Müdigkeit nach Jahrzehnten des Zauderns.
Denn was bleibt sonst?
Ein Planet am Scheideweg
Seit dem 19. Jahrhundert hat sich die Erde um 1,3 Grad erwärmt. Klingt nach wenig, verändert aber alles: Ernten verdorren, Gletscher schmelzen, Meere steigen, Menschen fliehen. Der Klimawandel ist längst kein Zukunftsszenario mehr, sondern tägliche Realität – auch in Europa.
Und doch, zwischen all den düsteren Prognosen, gibt es Licht. Solaranlagen sprießen in der Sahara, Windräder drehen sich vor bretonischen Küsten, junge Start-ups entwickeln klimaneutrale Baustoffe.
Es gibt sie, die Lösungen. Sie liegen auf dem Tisch. Man muss sie nur – endlich – anpacken.
Zwischen Hoffnung und Verantwortung
Die COP30 ist kein Fest der Worte mehr. Sie ist ein Prüfstein. Für Regierungen, für Unternehmen, für jeden Einzelnen. Ob in Paris, Berlin oder São Paulo – die Frage bleibt dieselbe: Wie ernst meinen wir es mit unserer Zukunft?
Vielleicht ist das eigentliche Ziel von Belém nicht ein neues Abkommen, sondern ein neuer Geist. Ein Bewusstsein, dass es längst nicht mehr um die ferne Zukunft geht, sondern um das Hier und Jetzt.
Belém – der Ort, an dem die Welt entscheiden könnte, ob sie wirklich bereit ist, sich zu verändern. Oder ob sie weiter wartet, bis der Regenwald schweigt.
Ein Artikel von M. Legrand
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