Der Wind trägt den Duft von Salz und Pinien über den Strand von Hossegor. Ein paar Mutige steigen in die Wellen, obwohl der Kalender längst den November steht. Ein Mann mit orangefarbener Jacke beobachtet sie aufmerksam – Fernglas in der Hand, Funkgerät am Gürtel. Kein Tourist, sondern ein Rettungsschwimmer. Denn seit Kurzem gilt im Département Landes: Der Ozean schläft nie – und die Sicherheit ebenfalls nicht.
Was bisher nach Sommer klang, gehört nun zum Alltag – jahraus, jahrein. Die berühmten Strände von Capbreton, Seignosse oder Biscarrosse sind jetzt das ganze Jahr über von Rettungsschwimmern überwacht. Eine Revolution im französischen Küstenschutz, die sich Australien zum Vorbild genommen hat – jenem Land, wo Lifeguards ebenso selbstverständlich sind wie das Meer selbst.
Wenn der Sommer einfach bleibt
„Früher war der Strand im Winter leer“, erzählt Pierre, ein Rentner aus Dax, der sich gerade mit hochgekrempelten Hosen in die Brandung wagt. „Heute kommen die Leute immer – joggen, surfen, baden. Es ist, als ob der Sommer einfach nicht mehr geht.“
Und tatsächlich: Der Klimawandel hat die Gewohnheiten der Menschen verändert. Sanfte Winter, mildes Wasser, ein Hauch von ewigem Spätsommer – das zieht an. Doch mit der wachsenden Lust auf Spontanbäder steigt auch das Risiko. Die Strömungen an der Atlantikküste bleiben unberechenbar. Sie machen keinen Unterschied zwischen Juli und Dezember.
Hier setzt das neue Konzept an: Zwölf Monate Präsenz, Streifenfahrten, Prävention. Kein Bademeisterhäuschen mit roter Fahne, aber eine diskrete, kontinuierliche Kontrolle. Die Idee: nicht Überwachung, sondern Schutz und Bewusstsein.
24 Lebensretter – das Rückgrat des Projekts
Ein Team aus 24 festangestellten Rettungsschwimmern wurde eigens für diese Aufgabe zusammengestellt. Ihre Mission: regelmässige Patrouillen an Stränden und Seen entlang des 100 Kilometer langen Küstenstreifens.
„Wir wollen sichtbar sein, ohne zu stören“, erklärt Adrien Perrin, einer der Koordinatoren des Projekts. „Wenn wir auftauchen, sprechen wir die Menschen an, erklären die Strömungen, geben Ratschläge. Meistens reicht das schon, um gefährliche Situationen zu verhindern.“
Die Initiative ist Teil eines zweijährigen Pilotprojekts, das bis Dezember 2027 läuft. Der Etat: rund drei Millionen Euro. Finanziert wird er zu großen Teilen vom Département Landes – ein stolzes Signal an alle, die in dieser Region leben oder sie lieben.
Inspiration vom anderen Ende der Welt
Die Verantwortlichen haben sich das australische Modell genau angesehen. In Sydney, am legendären Bondi Beach, sind Lifeguards seit Jahrzehnten das ganze Jahr im Einsatz. Sie schulen nicht nur im sicheren Schwimmen, sondern sind auch Sozialarbeiter, Lehrer, manchmal Psychologen.
Genau diese Mischung streben die Landes an: Die neuen Rettungsschwimmer sollen langfristig selbst zu Ausbildern werden, um junge Menschen aus der Region für den Dienst am Meer zu begeistern. „Es geht nicht nur ums Retten“, sagt Perrin, „es geht um Kultur. Um Respekt vor dem Ozean.“
Ein europäisches Experiment
Dass ein französisches Département diesen Weg einschlägt, sorgt europaweit für Aufmerksamkeit. In Spanien oder Portugal gibt es bislang nur saisonale Überwachung, ebenso an der Côte d’Azur. Das macht die Landes zu einem Pionier – mutig, aber auch unter Druck, denn der Erfolg dieses Projekts wird genau beobachtet.
Wie misst man eigentlich Sicherheit? An geretteten Leben? An verhinderten Unfällen? Oder an dem Gefühl der Menschen, dass jemand auf sie aufpasst?
Marie, Touristin aus Lyon, bringt es beim Spaziergang am Strand auf den Punkt: „Ich fühle mich einfach ruhiger, wenn ich weiß, dass jemand da ist. Das Meer ist schön, aber es verzeiht nicht.“
Zwischen Ruhe und Respekt
Tatsächlich entsteht durch die ständige Präsenz der Rettungsschwimmer eine neue Beziehung zwischen Mensch und Meer. Weniger Angst, mehr Verantwortung. Und vielleicht auch ein bisschen Demut.
Denn das Meer der Landes ist nicht nur ein Postkartenmotiv – es ist eine lebendige Kraft, manchmal sanft, manchmal wild. Wer hier badet, weiß: Jede Welle erzählt eine Geschichte.
Die Rettungsschwimmer hören zu. Sie lesen die Zeichen der Gezeiten, das Flirren des Windes, die Farbe des Schaums auf den Wellen. Sie wissen, wann Gefahr droht – lange bevor andere sie spüren.
Eine Investition in die Zukunft
3 Millionen Euro – das klingt nach viel, ist aber im Vergleich zu den Kosten eines einzigen tödlichen Badeunfalls gering. Jeder, der hier gerettet wird, rechtfertigt den Aufwand. Doch das Projekt bedeutet mehr als bloße Zahlen. Es ist ein Symbol für eine Region, die verstanden hat, dass ihre Identität am Wasser hängt.
„Unsere Küste ist unser Herz“, sagt Patrick, ein Fischer aus Capbreton. „Wir leben mit dem Ozean. Da ist es normal, dass wir ihn ernst nehmen.“
Er lehnt sich an sein Boot, schaut hinaus. „Früher haben wir auf die Flut gehört. Heute hören wir auch aufeinander. Das ist neu – und gut so.“
Der Atlantik als Spiegel
Vielleicht ist das, was in den Landes passiert, mehr als ein Sicherheitskonzept. Vielleicht ist es ein Modell für ein neues Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur.
Denn wenn der Sommer bleibt, dann muss auch die Vorsicht bleiben. Wenn das Meer sich öffnet, dann müssen wir lernen, ihm zuzuhören.
Die Landes zeigen, dass Fortschritt manchmal leise kommt – in Form von Rettungsschwimmern, die zwischen Novemberregen und Wintersonne Wache halten.
Und wer weiß: Vielleicht wird man sich in ein paar Jahren fragen, warum man überhaupt jemals ohne sie ausgekommen ist.
Ein Artikel von M. Legrand
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