Tag & Nacht


Vor einem Jahrzehnt war die Berichterstattung über Terrorismus mit islamistisch-extremistischem Hintergrund ein zentraler Bestandteil der journalistischen Arbeit. 2015 gab es die Anschläge auf die Konzerthalle Bataclan und die Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris. Ein Jahr später töteten Terroristen Dutzende Menschen, indem sie mit einem Lkw in die Feierlichkeiten zum französischen Nationalfeiertag in Nizza und in einen Weihnachtsmarkt in Berlin fuhren. 2017 erlebten wir drei Anschläge in Großbritannien, darunter ein Selbstmordattentat bei einem Konzert von Ariana Grande in Manchester.

Terroranschläge mit vielen Toten schienen damals etwas zu sein, mit dem wir einfach würden leben müssen.

Doch dann veränderte sich etwas. Heute fühlt sich alles ganz anders an. Auto- und Messerangriffe von Einzeltätern, die sich selbst als Dschihadisten bezeichnen, schaffen es gelegentlich noch in die Schlagzeilen. Aber es passiert deutlich seltener. Und die Art komplexer, quasi-militärischer Operationen, die früher Dutzende Menschen auf einmal das Leben kosteten, erleben wir glücklicherweise nicht mehr.

Es gibt eine Reihe von Gründen, warum die Ära der Bataclan-ähnlichen Anschläge derzeit verblasst erscheint. Doch die Folgen dieser Zeit prägen unsere Gegenwart weiterhin.

Das Ende des Kalifats

Über die Ursachen des Rückgangs herrscht unter Fachleuten weitgehend Einigkeit.

Zunächst ist da der Niedergang des sogenannten Islamischen Staates in Syrien und im Irak. Im Jahr 2014 kontrollierte ISIS ein Gebiet, das größer war als Portugal. Die Organisation bildete Tausende junger europäischer Dschihadisten aus. Doch bis 2017 hatte das selbsternannte Kalifat nahezu sein gesamtes Territorium verloren – und damit auch das überzeugende Narrativ, das damit einherging.

Westliche Sicherheitsdienste haben inzwischen ihre Fähigkeiten zur Terrorabwehr verbessert. Frankreich habe in den letzten zehn Jahren 85 Anschläge vereitelt, allein sechs davon im laufenden Jahr, sagte Präsident Emmanuel Macron vergangene Woche.

Und auch die städtische Infrastruktur hat sich verändert. Wer sich heute an touristischen Hotspots oder an Brücken umsieht, wird oft Schutzpoller erkennen, die Fahrzeuge von Attentätern stoppen sollen.

Diese Entwicklungen haben den potenziellen Tätern Schwierigkeiten bereitet: Es gibt keine Trainingslager mehr; Anschlagspläne werden häufiger entdeckt; die Durchführung ist schwieriger geworden.

Unklare Motive

Bei der Frage nach den Motiven wird es komplizierter. Liegt es nur daran, dass solche Anschläge schwerer umzusetzen sind? Oder haben weniger Menschen überhaupt das Bedürfnis, sie zu begehen? Und wenn ja – warum?

Grob gesagt gibt es zwei Denkrichtungen, die zu erklären versuchen, was diese Anschläge angetrieben hat. Die eine sieht sie als Auswuchs einer radikalisierten Form des Islam; die andere betrachtet sie als Teil eines Phänomens, das einige Experten als „Islamisierung des Radikalismus“ bezeichnen.

Die erste Richtung argumentiert, dass eine extremistische Ideologie – verbreitet in Moscheen, durch Imame und über das Internet – zu diesen Formen des Terrorismus geführt habe. Die zweite Richtung sieht die Anschläge eher als einen Jugendprotest von Einwanderern der zweiten oder dritten Generation, die den Islam lediglich als Mittel zur Artikulation ihres Unmuts wählten.

Andere wiederum sagen, die beiden Theorien ergänzten sich und könnten gemeinsam helfen, die neue Realität eines verringerten, aber anhaltenden Bedrohungspotenzials zu erklären.

Peter Neumann, Terrorismusexperte am King’s College London, sagte kürzlich, dass seit dem 7. Oktober und dem anschließenden Krieg in Gaza die Zahl der Anschläge wieder steige. Wenn wir das kaum bemerken, liege das daran, dass diese Taten eher unspektakulär seien, oft von Jugendlichen begangen würden und häufig scheiterten.

Die neuen Täter seien so wenig ideologisch, dass man sie kaum noch von jugendlichen Amokläufern unterscheiden könne, sagte er: „Diese Jugendlichen bewegen sich in unterschiedlichen Online-Subkulturen. Sie haben persönliche Motive, psychologische Verletzlichkeiten und oft eklektische politische Vorstellungen. Sie wählen aus. Das ergibt ein Phänomen, das manchmal schwer zu kategorisieren ist. Ist das noch Terrorismus?“

Ein Grund, warum die Welt dieser Entwicklung mehr Aufmerksamkeit schenken sollte, warnt Neumann, sei, dass selbst kleinere Anschläge eine andere Form von Extremismus anheizen könnten – jenen von rechts. Dort werde seit Langem ein „Kampf der Kulturen“ zwischen dem Westen und dem radikalen Islam beschworen. Ein Teil des Aufstiegs rechter Bewegungen sei ein Erbe der Terrorjahre à la Bataclan, so Neumann.

Was wir heute bräuchten, sei ein virtuelles Pendant zu dem, was in der physischen Welt erfolgreich war: digitale Schutzmaßnahmen – gewissermaßen „Poller fürs Internet“ –, die Menschen daran hindern, den Weg zur Radikalisierung einzuschlagen. Leider seien es genau diese Schutzmechanismen, die viele Tech-Unternehmen derzeit abzubauen versuchten.


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Autor: P. Tiko

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