Wer einmal im späten Herbst durch die Wälder der Puisaye schlendert, spürt rasch, warum diese Ecke Burgunds seit Jahrhunderten Menschen anzieht, die das Einfache lieben und im Kleinen das Große entdecken. Die Châtaigne, diese unscheinbare Perle der Wälder, begleitet die Region schon seit dem Mittelalter – und kaum ein Schatz passt besser zu jenem leuchtenden Bühnenbild, das die Natur in dieser Jahreszeit malt.
An manchen Tagen wirkt die Welt dort wie frisch aus einer Geschichtenkiste.
Und genau so beginnt auch unsere Reise.
Der Morgen liegt noch kühl über den Pfaden, als die ersten Schritte das dichte Rascheln der Blätter aufwirbeln. Ihre Farben reichen von tiefem Rot bis zu jenem warmen Gelb, das an alte Aquarelle erinnert. Ein leiser Wind fährt durch die Baumkronen – und plötzlich wirkt alles in Bewegung, selbst der Lichtfleck, der über den Waldboden tanzt.
Ein Wanderer bleibt stehen, lauscht, lächelt. Eine Frau neben ihm hebt ihren Blick, als zöge etwas Unsichtbares über sie hinweg. „Die Kraniche“, sagt sie, „die kommen täglich vorbei.“ Es klingt wie eine vertraute Geste des Himmels.
Frédéric Lamour, der mit geübtem Blick das Unterholz mustert, führt eine kleine Gruppe durch seine Lieblingsplätze. Er kennt diese Wälder wie andere Menschen ihr eigenes Treppenhaus. „Hier verstecken sie sich“, murmelt er und deutet auf eine Stelle, an der die Blätter etwas höher liegen. „Da kann man wunderbar wühlen, man findet noch richtig schöne.“
Sein Ton ist warm, ein wenig verschmitzt – als würde er ein altes Geheimnis verraten.
Die Châtaigne prägte das Leben der Region lange bevor moderne Küchen sie neu entdeckten. Früher erzählte man, dass sie die arme Landbevölkerung vor Hunger rettete. Mischte man Mehl und Früchte, entstand ein nahrhaftes Brot, das half, selbst harte Zeiten zu überdauern.
Kein Wunder, dass man ihre Bedeutung noch heute spürt – nicht im Ton der Nostalgie, sondern in der ruhigen Selbstverständlichkeit, mit der die Menschen hier über sie sprechen. „Schlechte Weizenernten gab es oft“, sagt Lamour, „schlechte Châtaigne-Jahre fast nie.“
Man merkt, dieses Wissen sitzt tief.
Doch nicht jede glänzende Frucht ist eine Châtaigne. Rosskastanien – Marrons – schauen ebenfalls zwischen den Blättern hervor. Der Unterschied? Man erkennt ihn erst, wenn man die Frucht öffnet. Manche Wanderer verwechseln sie – sogar erfahrene Sammler geraten ins Grübeln.
Eine kleine Herausforderung gehört eben dazu.
Und irgendwie macht gerade das den Reiz eines herbstlichen Streifzugs aus. Die Sinne wachen auf, ein Geruch nach feuchter Erde steigt auf, und mit jedem Schritt schimmern andere Nuancen durchs Geäst. „Das ist mehr als ein Geschmack“, sagt Gérard Poulin von Rando Puisaye Forterre. „Es ist das Rascheln, das Atmen des Waldes.“
Diese Worte bleiben hängen.
Später, unten im Ort Saint Sauveur en Puisaye, herrscht ein ganz anderes Treiben. Der Markt wirkt wie eine Fortsetzung des Waldes, nur dichter gedrängt. Kürbisse in sattem Orange, Butternut in schlanker Eleganz, Patidou mit verspielten Linien – alles funkelnde Botschafter des Herbsts.
Eine ältere Passantin bleibt vor einem Stand stehen und erzählt beinahe beiläufig, dass sie zuhause gerade eine Suppe vorbereitet. „Potimarron, Butternut – das macht direkt Laune.“ Der Ausdruck, den sie wählt, lässt einen schmunzeln. Man spürt: Das Kochen gehört hier zum Rhythmus des Jahres.
Nicht weit entfernt, in Toucy, wartet jemand auf seine eigenen Inspirationen: Yohann Rolland, Chef des Restaurants L’Ataraxie. Sein Blick wandert über Körbe voller Kürbisarten, die für ihn wie Farbtuben einer herbstlichen Küche wirken.
„Die Übergangszeit ist pure Magie“, sagt er. „Man steht zwischen Sommer und Winter – und überall liegen diese Geschenke.“
Man hört den Koch in ihm sprechen.
Und auch den Künstler.
Heute sucht er jedoch etwas Spezielles: perfekte, ganze Châtaignes, mit denen er seine Gerichte abrundet. Manche rösten im Ofen, andere landen in feinen Desserts. Vor ihm entsteht ein kleiner Tanz zwischen Tradition und moderner Kochkunst.
In seiner Küche zeigt Rolland, wie er die Esskastanien im Ofen röstet. 180 Grad, rund zwanzig Minuten – das klingt einfach, doch das feine Aroma danach ist wie ein eigener Charakter. Die doppelte Schale zu entfernen braucht Geduld, doch der Duft, der sich dann entfaltet, ist jede Mühe wert.
„In einer Kürbissuppe bringen Marrons so eine Art Schlussnote“, sagt er. „Und in Desserts – ach, das wird richtig charmant.“
Charmant ist genau das richtige Wort.
An diesem Mittag zaubert er eine Nachspeise, die vor lauter Leichtigkeit fast schwebt: Châtaignes in einem warmen Marc de Bourgogne Sirup, dazu eine dreifache Creme aus Pâtissière, Schlagsahne und Maronencreme – gekrönt von einer knusprigen Meringue.
Eine Kundin sieht das Ergebnis und lächelt verträumt. „Das erinnert mich an die Suche im Wald. Die Überraschung, was sich unter den Blättern verbirgt.“
Wie oft verbinden wir Geschmack mit Erinnerung?
Und wie viele dieser Erinnerungen tragen den Duft vergangener Jahreszeiten?
Die Wälder draußen legen währenddessen ihr Kleid Stück für Stück ab. Die Stille wird dichter, das Licht milder. Ein letzter Glanz bleibt auf den Stämmen, bevor der Winter sich nähert.
Doch gerade dieser Übergang lässt die Châtaigne so besonders wirken. Sie steht für Fülle – und für Ruhe. Für Tradition – und für kleine Genussmomente, in denen man ein „Boah, lecker“ einfach rausrutscht.
Herbst in der Puisaye bedeutet: einmal tief einatmen, ein wenig staunen, manchmal innehalten und merken, wie gut es tut, sich treiben zu lassen.
Und so geht man am Ende des Tages ein paar Schritte langsamer zurück zum Auto oder zur Haustür. Eine Handvoll Châtaignes in der Jackentasche, ein leichtes Lächeln im Gesicht – und das Gefühl, ein Stück Wald mitzunehmen, das länger bleibt als nur einen Nachmittag.
Ein Artikel von M. Legrand
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