Die Desinformationskampagne „Matrioschka“ zeigt, wie systematisch und international vernetzt russische Akteure heute versuchen, die öffentliche Meinung in Europa zu beeinflussen. Frankreich steht im Zentrum – doch betroffen ist der gesamte Westen.
Seit dem Spätsommer 2023 beobachten französische Behörden mit zunehmender Sorge eine hybride Einflussoperation, die in ihrer Komplexität und Persistenz neue Maßstäbe setzt. Unter dem Decknamen „Operation Matrioschka“, benannt nach den ineinander verschachtelten russischen Holzpuppen, entfaltet sich eine vielschichtige Kampagne mit dem Ziel, westliche Gesellschaften zu destabilisieren, das Vertrauen in etablierte Medien zu untergraben und insbesondere die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen.
Der Begriff ist nicht zufällig gewählt. Hinter jeder offengelegten Manipulation offenbaren sich neue Ebenen, neue Kanäle, neue Akteure. Was in Form eines simplen Social-Media-Posts beginnt, entwickelt sich – orchestriert, koordiniert, präzise getimt – zu einem vielstimmigen Angriff auf die Integrität öffentlicher Diskurse.
Ein neues Niveau digitaler Einflussnahme
Die französische Behörde VIGINUM, zuständig für die Überwachung ausländischer digitaler Einflussnahmen, legt in einem aktuellen Bericht die Mechanik dieser Kampagne offen: Im Mittelpunkt steht ein zweistufiges Vorgehen. Zunächst werden Inhalte von sogenannten „Seedern“ verbreitet – meist in Form von manipulierten Bildern, gefälschten Zitaten oder bewusst verzerrten Nachrichten. Anschließend treten „Quoters“ in Erscheinung, die diese Inhalte in Debatten mit Journalisten oder Faktenprüfern einbringen und so deren Ressourcen binden sollen.
Besonders perfide ist dabei die professionelle Aufmachung: Die visuelle Gestaltung folgt bewusst der typischen Formensprache etablierter Medienhäuser. Logos, Farbwelten, Typografie – alles wirkt auf den ersten Blick authentisch. Erst bei genauerer Prüfung offenbart sich die Täuschung.
Auch die eingesetzten Profile folgen einem klaren Muster: künstlich generierte Fotos, keine Historie, minimale Aktivität – sie dienen ausschließlich dem Zweck der Kampagnenverbreitung. In vielen Fällen handelt es sich um gekaufte oder zuvor inaktive Konten. Die Inhalte selbst sind dabei mehrsprachig: französisch, englisch, deutsch, italienisch und ukrainisch.
Frankreich im Fokus – aber nicht allein
Ziel der Operation ist nicht allein Frankreich, auch wenn es dort derzeit besonders sichtbar ist. Das Land wird dabei gleich auf mehreren Ebenen attackiert: Die Medienlandschaft, die politischen Institutionen, das gesellschaftliche Vertrauen – alles steht im Visier.
Konkrete Narrative der Kampagne beinhalten beispielsweise die Darstellung ukrainischer Geflüchteter als Belastung für das Aufnahmeland oder die Verbreitung des Eindrucks, die Ukraine sei ein durch und durch korruptes System, das die westliche Unterstützung nicht verdiene. Zudem wird suggeriert, dass westliche Demokratien insgesamt an Legitimität verlieren – ein Narrativ, das in ähnlicher Form auch in anderen Kontexten auftaucht.
Ein besonders aktuelles Beispiel: Anlässlich der Gedenkveranstaltungen zum 13. November in Paris – dem Jahrestag der Terroranschläge von 2015 – kursierten in sozialen Netzwerken gefälschte Bilder, die Ausschreitungen suggerierten, angeblich verursacht durch ukrainische Staatsbürger. Die Inhalte wurden rasch von automatisierten Konten weiterverbreitet, bevor sie von Medien wie France24 als Fälschung identifiziert werden konnten.
Transnationale Dimension
Die Operation beschränkt sich nicht auf Frankreich. Auch in Moldawien – einem Land mit enger EU-Anbindung – traten ähnliche Mechanismen im Vorfeld von Wahlen zutage. Ziel war hier, die Regierung als prowestlich und unfähig darzustellen, während prorussische Kräfte gestärkt werden sollten.
Das übergeordnete Muster ist stets dasselbe: die Destabilisierung des öffentlichen Diskurses durch gezielte Desinformation, mediale Überreizung und systematische Skepsis gegenüber faktenbasierten Informationsquellen.
Eine neue Herausforderung für Demokratien
Die Kampagne „Matriochka“ markiert einen Wendepunkt in der Art und Weise, wie hybride Bedrohungen im digitalen Raum operieren. Es handelt sich nicht mehr um punktuelle Falschmeldungen oder vereinzelte Trollaktionen. Vielmehr steht eine langfristig angelegte, technisch versierte und international abgestimmte Strategie im Raum, deren Ziel es ist, die Deutungshoheit in der digitalen Öffentlichkeit zu verschieben.
Dabei wirken die eingesetzten Mittel umso gefährlicher, je subtiler sie daherkommen. Viele der Inhalte bewegen sich am Rand der Falschaussage, knüpfen an reale Ereignisse an oder spielen mit Halbwahrheiten. Das erschwert nicht nur die Aufklärung, sondern auch die Einordnung durch die Öffentlichkeit.
Was bedeutet das für ein deutschsprachiges Publikum?
Auch in Deutschland oder der Schweiz lebende Leserinnen und Leser, die Frankreich aufmerksam verfolgen, sollten sensibilisiert werden. Die Operation Matriochka richtet sich nicht exklusiv gegen französische Medien oder Institutionen – sie testet Mechanismen, die auch andernorts funktionieren könnten.
Insbesondere der zunehmende Druck auf Faktenprüfungsstellen, das gezielte Ausnutzen medialer Routinen und die Emotionalisierung durch scheinbar authentische Bilder stellen Demokratien europaweit vor neue Herausforderungen. Die Relevanz für eine breitere Öffentlichkeit liegt auf der Hand: Wer sich über Frankreich informiert, könnte unbewusst manipulierten Inhalten begegnen – selbst dann, wenn sie formal korrekt erscheinen.
Fazit
Die „Operation Matrioschka“ ist kein isoliertes Phänomen, sondern Ausdruck einer strategischen Neuausrichtung russischer Einflussnahme im digitalen Raum. Sie verbindet klassische Propaganda mit den technischen Möglichkeiten künstlicher Intelligenz und sozialer Medien – und entwickelt daraus eine neue Form der asymmetrischen Kommunikation.
Die Antwort darauf liegt nicht nur in technischer Aufrüstung oder staatlicher Regulation. Sie beginnt bei der medienkritischen Kompetenz des Einzelnen – und bei der Fähigkeit, zwischen Meinung und Manipulation zu unterscheiden.
Autor: Andreas M. Brucker
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