Die Rückkehr eines freiwilligen Militärdienstes in Frankreich ist mehr als ein innenpolitisches Projekt mit pädagogischer Note. Sie ist Ausdruck einer strategischen Neubewertung der internationalen Lage. Emmanuel Macron stellt sich damit einem Befund, der sich aufdrängt: Die europäische Sicherheitsarchitektur ist brüchig geworden, die Nachkriegsordnung verliert an Bindekraft, und auch im Innern drohen gesellschaftliche Fliehkräfte. Der Präsident reagiert mit einem Vorschlag, der pragmatische Sicherheitsüberlegungen mit einer zivilgesellschaftlichen Vision verbindet – der Etablierung eines modernen, freiwilligen Dienstes an der Nation.
Zwischen Bürgerpflicht und sicherheitspolitischem Realismus
Frankreich hat seine Wehrpflicht 1997 abgeschafft und seine Armee seither auf Berufssoldaten umgestellt. Die Professionalisierung der Streitkräfte hat zweifellos deren Einsatzfähigkeit gestärkt – zugleich aber auch zur gesellschaftlichen Entkopplung beigetragen. Der Militärdienst, einst ein kollektives Ritual staatsbürgerlicher Integration, ist in Vergessenheit geraten. Die Armee wirkt für viele junge Franzosen heute wie eine Parallelwelt.
In einer zunehmend instabilen geopolitischen Umgebung – geprägt von Krieg in Europa, hybriden Bedrohungen, Cyberspionage und geopolitischen Machtverschiebungen – genügt dem Élysée eine rein professionelle Verteidigungsstruktur nicht mehr. Die Wiederbelebung eines freiwilligen Militärdienstes soll eine „strategische Tiefe“ schaffen: ein Reservoir an ausgebildeten und im Ernstfall mobilisierbaren Bürgerinnen und Bürgern. Das Konzept folgt einer doppelten Logik: Der Staat will sich widerstandsfähiger machen – und zugleich das Band zwischen Armee und Gesellschaft neu knüpfen.
Ein Projekt für die Resilienz der Nation
Der geplante Dienst richtet sich an Jugendliche ab 16 Jahren und soll jährlich Zehntausende ansprechen. Anders als bei klassischen Wehrpflichtmodellen ist der Dienst bewusst freiwillig, flexibel in der Ausgestaltung und offen für unterschiedliche Einsatzformen – militärisch, zivil, digital. Die politische Botschaft dahinter: Der Staat setzt auf Engagement, nicht auf Zwang. Er bietet Orientierung, aber keine autoritäre Disziplinierung. Das entspricht dem politischen Stil Macrons, der versucht, Modernisierung mit staatsbürgerlichem Pathos zu verbinden.
Die Idee ist nicht neu, doch sie gewinnt vor dem Hintergrund wachsender Unsicherheiten neue Plausibilität. Der freiwillige Dienst soll nicht nur militärisch nutzbar sein, sondern auch als gesellschaftlicher Kitt wirken. In einem Land, das unter sozialen, kulturellen und territorialen Fragmentierungen leidet, könnte ein solcher Dienst Erfahrungsräume bieten, in denen gemeinsames Handeln, Verantwortung und Zugehörigkeit erfahrbar werden – unabhängig von Herkunft oder Milieu.
Zwischen Symbolpolitik und Strukturreform
Doch der Vorschlag ist nicht ohne Risiken. Kritiker bemängeln, dass das Vorhaben kostspielig ist – der Ausbau auf eine relevante Größenordnung würde jährlich Milliardenbeträge verschlingen. Auch ist unklar, ob die militärische Infrastruktur auf einen derart breit angelegten Zustrom vorbereitet ist, sowohl personell als auch organisatorisch. Nicht zuletzt bleibt offen, ob sich genügend junge Menschen tatsächlich für den Dienst begeistern lassen.
Denn damit der Dienst nicht zur reinen Symbolpolitik verkommt, braucht es mehr als ein attraktives Rahmenprogramm: Er muss glaubwürdig, sinnvoll und respektvoll gestaltet sein. Junge Menschen müssen das Gefühl haben, dass ihr Beitrag zählt – und dass ihr Engagement nicht politisch vereinnahmt, sondern anerkannt wird. Die Armee wiederum steht vor der Herausforderung, ein Umfeld zu schaffen, das nicht nur ausbildet, sondern auch bildet – im besten republikanischen Sinn.
Was Macron hier vorschlägt, ist daher mehr als eine taktische Maßnahme. Es ist ein Versuch, das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern neu zu justieren. In einer Zeit, in der viele Demokratien unter Erosionserscheinungen leiden, könnte der freiwillige Wehrdienst – richtig ausgestaltet – einen Beitrag zur demokratischen Resilienz leisten. Als Raum des Miteinanders, der Orientierung, der Einbindung.
Der Erfolg des Projekts wird davon abhängen, ob es gelingt, junge Menschen für eine Idee von Staatsbürgerschaft zu gewinnen, die mehr ist als bloße Rechtsstellung – nämlich gelebte Verantwortung in unsicheren Zeiten.
Autor: Andreas M. Brucker
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