Tag & Nacht


Der Winter schleicht sich heran – leise, weiß und in den Höhenlagen der Alpen derzeit besonders eindrucksvoll. Und während viele Menschen in der Stadt noch mit Nieselregen und Nebel kämpfen, zaubert der November weiter oben ein Postkartenidyll. Für die Skistationen ein gefundenes Fressen. Genauer gesagt: ein gefundenes Motiv. Denn sie sind längst nicht mehr nur Schneelieferanten, sondern auch Content-Schmieden.

La Clusaz in der Haute-Savoie zeigt, wie’s geht. Zehn Jahre ist es her, dass so früh im Winter so viel Schnee gefallen ist. Und wenn der Schnee kommt, kommen auch die Drohnen. Community-Manager Pierrick Aubert ist mit Kamera, Skiern und einem wachen Auge unterwegs. Sein Revier: die unberührten Hänge. Sein Ziel: das perfekte Bild. Noch bevor der erste Tourist die frische Piste zerfurcht, fliegt die Drohne. Denn Timing ist alles – besonders im Netz.

„Es ist noch völlig unberührt. Das ist der erste richtig schöne Tag nach mehreren Schneefällen“, erklärt Aubert, während er auf den Auslöser drückt. Für ihn sind Instagram, TikTok und Facebook keine Spielerei, sondern strategisches Werkzeug. „Die sozialen Netzwerke sind unser Schaufenster – sie kurbeln den Saisonstart an, schaffen Vertrauen, machen Lust. Es geht darum, Emotionen zu wecken, Sehnsüchte zu bedienen.“

Und die Strategie greift. Eine einzige Veröffentlichung über die jüngsten Schneefälle brachte La Clusaz in wenigen Tagen fast eine halbe Million Views. Für eine Bergstation mit gerade mal ein paar Tausend Einwohnern ein digitaler Höhenflug. Julie Mugniery, die Kommunikationsverantwortliche des örtlichen Tourismusbüros, zeigt sich begeistert: „Das ist extrem effizient. Die Reichweite hat sich vervielfacht.“

Was dabei auffällt: Es geht längst nicht mehr nur um klassische Werbung. Die Skistationen erzählen Geschichten. Sie lassen Follower am Morgenraureif teilhaben, nehmen sie mit auf Skitouren im Morgengrauen oder auf Helmkamera-Abfahrten mit Panorama. Es ist ein Mix aus Sehnsucht, Abenteuer und Lifestyle – und er funktioniert.

Gleichzeitig verschiebt sich die Rolle der Tourismusbüros. Früher druckten sie Flyer, heute führen sie Social-Media-Kampagnen. Influencer-Kooperationen, bezahlte Inhalte, Echtzeit-Storys – der Aufwand ist gestiegen, die Budgets auch. Über deren genaue Höhe schweigt man sich aus. Die Summen? Betriebsgeheimnis.

Dabei spielen Wetter und Technik Hand in Hand. Eine günstige Schneelage wird sofort medial verwertet. Wie ein Regisseur die erste Szene eines Films, so fängt Aubert die Frische des Neuschnees ein – bevor sie vom Massentourismus zur Erinnerung gestampft wird. Das Ziel: Viralität statt Prospekt.

Aber: Bei aller Begeisterung bleibt auch die Realität nicht außen vor. Am bevorstehenden Wochenende wird in vielen Teilen der Alpen vor hoher Lawinengefahr gewarnt. Die Schneemassen, so schön sie aussehen, bergen auch Risiken. Wer sich nur vom Bildschirm aus inspirieren lässt, übersieht leicht die Schattenseite der Idylle.

Und doch – der Trend ist gesetzt. Die Berge sprechen nicht mehr nur durch den Wind in den Bäumen, sondern auch durch Reels, Hashtags und Likes. Und wer heute im Netz nicht sichtbar ist, verschwindet im weißen Rauschen der Konkurrenz.

Denn der Winter ist kein Selbstläufer mehr.

Er will verkauft, erzählt, inszeniert werden. Bild für Bild.

Autor: C.H.

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