Tag & Nacht


Strategische Illusion oder erreichbares Ziel?

Seit Jahrzehnten steht der internationale Drogenhandel im Zentrum politischer Debatten, sicherheitspolitischer Strategien und diplomatischer Spannungen. In einer globalisierten Welt, in der illegale Warenströme längst nicht mehr an Grenzen haltmachen, treibt die Frage Regierungen ebenso um wie Gesellschaften: Kann ein Staat den Drogenhandel tatsächlich besiegen – oder jagt er einem Trugbild hinterher?

Der Drogenhandel ist kein Randphänomen organisierter Kriminalität. Er bildet ein Geflecht hochprofitabler illegaler Märkte, tief verankert in lokalen Ökonomien, verwoben mit Korruption und getragen von transnational agierenden Netzwerken. Die Umsätze dieser Märkte erreichen Dimensionen, die in manchen Regionen ohne weiteres mit legalen Wirtschaftszweigen konkurrieren. Wer hier von einem bloßen Sicherheitsproblem spricht, greift zu kurz. Es geht um Macht, um soziale Strukturen, um staatliche Autorität – und um deren Erosion.

Ein Polizist in Marseille formulierte es einmal so: Man schneidet einen Kopf ab, zwei wachsen nach. Eine saloppe Bemerkung, ja. Aber sie trifft den Kern des Problems.



Die klassische Antwort vieler Staaten lautete lange Zeit: Krieg. Krieg gegen Drogen, Krieg gegen Kartelle, Krieg gegen Schmuggler. Polizeiliche Großoperationen, militärische Interventionen, harte Strafgesetze, internationale Kooperationen – das Arsenal ist bekannt. Und dennoch bleibt der Erfolg begrenzt.

Ein Blick nach Kolumbien genügt. Der sogenannte Plan Colombia, zu Beginn der 2000er Jahre gemeinsam mit den Vereinigten Staaten aufgelegt, sollte den Kokainanbau eindämmen und die Macht der Kartelle brechen. Milliarden flossen in Militär, Polizei und Ausrüstung. Fünfzehn Jahre später zeigte sich ein ambivalentes Bild. Anbauflächen verschoben sich, Organisationen passten sich an, Gewalt ebbte stellenweise ab, flammte anderswo wieder auf. Der Markt blieb. Er veränderte nur seine Form.

Ähnlich verhält es sich mit groß angelegten See- und Luftoperationen, bei denen tonnenweise Drogen beschlagnahmt werden. Der Aufwand ist enorm, der mediale Effekt beträchtlich. Doch strategisch bleibt die Bilanz ernüchternd. Der Markt reagiert flexibel. Preise, Routen, Akteure – alles lässt sich anpassen. Wer glaubt, allein mit Repression ließe sich ein globaler Milliardenmarkt austrocknen, verkennt dessen Dynamik.

Der Drogenhandel gedeiht vor allem dort, wo staatliche Strukturen schwach sind oder als unglaubwürdig wahrgenommen werden. In manchen Regionen übernehmen kriminelle Organisationen Aufgaben, die eigentlich dem Staat zufallen sollten. Sie sorgen für eine Art Ordnung, verteilen Geld, bieten Arbeit, manchmal sogar soziale Leistungen. Nicht aus Altruismus, sondern aus Kalkül. Wer Loyalität kauft, sichert Märkte.

Hinzu kommt ein altbekannter, aber oft unterschätzter Faktor: Korruption. Wo Drogengeld in Polizei, Justiz oder Politik einsickert, verliert der Staat seine schärfste Waffe – Vertrauen. Und ohne Vertrauen wird jede noch so gut gemeinte Strategie ausgehöhlt. Dann stehen Gesetze auf dem Papier, während die Realität auf der Straße eine andere Sprache spricht.

Vor diesem Hintergrund mehren sich Stimmen, die ein Umdenken fordern. Nicht Kapitulation, sondern Kurskorrektur. Weg von der Vorstellung eines umfassenden Sieges, hin zu einer Politik der Schadensbegrenzung. Gesundheitspolitik statt reiner Strafverfolgung, Prävention statt bloßer Reaktion, Regulierung dort, wo Prohibition mehr Schaden anrichtet als Nutzen bringt.

Das klingt für manche nach Weichzeichnung, nach Nachgeben. Tatsächlich geht es um Nüchternheit. Der Staat verliert nichts, wenn er anerkennt, dass Nachfrage existiert – und dass Märkte, legale wie illegale, dieser Nachfrage folgen. Wer die Nachfrage senkt, schwächt den Markt. Wer Süchtige behandelt statt kriminalisiert, entzieht kriminellen Netzwerken Kundschaft. Kein Allheilmittel, aber ein Hebel.

Frankreich steht exemplarisch für diesen Spagat. Mit dem Gesetz vom 13. Juni 2025 hat der Gesetzgeber die Schrauben angezogen. Bessere Koordination der Ermittlungsbehörden, schärfere Regeln gegen Geldwäsche, neue Instrumente im Kampf gegen Korruption, ein modernisiertes Kronzeugenmodell. Der politische Wille ist unübersehbar. Gleichzeitig bleibt die Mahnung präsent, den Rechtsstaat nicht im Eifer des Gefechts zu beschädigen. Härte ohne Maß untergräbt am Ende genau jene Werte, die es zu verteidigen gilt.

Die eigentliche Frage lautet also nicht, ob der Staat den Drogenhandel „besiegen“ kann. In der strengen, militärischen Lesart ist die Antwort ernüchternd klar. Nein. Eine vollständige Ausrottung erscheint illusorisch. Zu anpassungsfähig sind die Akteure, zu tief verwurzelt die ökonomischen und sozialen Ursachen.

Doch das ist nicht das Ende der Geschichte. Der Staat kann den Schaden begrenzen. Er kann Gewalt reduzieren, Korruption eindämmen, Lebenswege verändern. Erfolg misst sich dann nicht an beschlagnahmten Tonnen oder spektakulären Verhaftungen, sondern an ruhigeren Vierteln, weniger Toten, stabileren Institutionen. An Vertrauen.

Vielleicht liegt die eigentliche Stärke des Staates genau dort: nicht im großen Sieg, sondern im langen Atem. Im beharrlichen Aufbau von Strukturen, die den kriminellen Verlockungen ihre Attraktivität nehmen. Das ist kein heroischer Kampf, eher eine mühsame Arbeit. Aber eine, die Wirkung zeigt.

Oder, um es weniger feierlich zu sagen: Den Drogenhandel erledigt man nicht über Nacht. Man drängt ihn Schritt für Schritt zurück. Und manchmal reicht das schon.

Von Daniel Ivers

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